Einleitung

 

 

Als Ergebnis meiner Initiation als Kulturanthropologe entstand 1998 der Feldforschungsbericht "Soziale Räume der Kinder in Maiori - Ethnologische Feldforschung in einem von Massentourismus geprägten Ort an der amalfitanischen Küste". Er basiert auf meiner von Februar bis Ende März 1996 im süditalienischen Maiori durchgeführten teilnehmenden Beobachtung im Rahmen eines vom Fachbereich Kulturwissenschaft organisierten Projektes der Universität Bremen. Neben der Erfüllung meiner vorgegebenen Forschungsaufgabe beschäftigten mich immer wieder Felderfahrungen, die mein Schwulsein betrafen. Wie verhält man sich als schwuler Feldforscher in einer heteronormativen Gesellschaft? Viele meiner Kontaktpersonen fragten mich nach meinem Familienstand. Mit der Erkundigung "E tu Marco, sei fidanzato?" wollte man wissen, ob ich liiert sei. Damit war "natürlich" die Beziehung zu einer Verlobten gemeint. Automatisch wurde Heterosexualität angenommen. Wie sollte ich auf derartige Fragen antworten, ohne meine Forschung zu gefährden? Konnte ich erfolgreich forschen, ohne ehrlich auf derartige Fragen zu antworten? Aus Angst vor Stigmatisierung verschwieg ich am Anfang meine Partnerschaft und hielt meine schwule Identität verborgen.

 

Im Prozeß der Feldforschung wurde ich Teil eines Freundeskreises, in dem ich es wagte, mein Schwulsein zu offenbaren. Umgekehrt lernte auch ich einige Schwule kennen. In Begleitung meines langjährigen Partners setzte ich meine Untersuchung in späteren Forschungsaufenthalten fort. Im Netzwerk unserer maioresischen Freunde traten wir offen als schwules Paar auf. Darüber hinaus erkundeten wir Teile der schwulen Kultur im urbanen Zentrum Neapel.

 

Das Ziel des ersten Teils dieser Arbeit besteht darin, zu zeigen, wie ich durch Selbstreflexion und Beachtung meiner erotischen Subjektivität als schwuler Feldforscher zu einer teilnehmenden Beobachtung über männliche Homosexualität im Feld gelangt bin. Im ersten Kapitel beschreibe ich die erkenntnistheoretische Entwicklung in der Ethnologie, die die Thematisierung homosexueller Identität von Forschenden ermöglicht hat. Danach ziehe ich Parallelen zu meinem ersten Feldaufenthalt in Maiori. In dichter Beschreibung dokumentiere ich meine Ankunft im Franziskanerkloster und die späteren Bekenntnisse meines Schwulseins vor einigen meiner InformantInnen, den Beginn meines Forschens über Homosexualität. Ich halte die Suche nach möglichen Orten des offenen Umgangs mit Homosexualität fest und entdecke bei anderen mir fremde Auffassungen über schwule Identität und Partnerschaft.

 

Mit dieser Herangehensweise unterstütze ich die These der reflexiven Ethnologie, daß die Reflexion der subjektiven Felderfahrung zu relevanten Daten für die Kulturwissenschaft führt (vgl. Rabinow 1977 und Nadig 1986). Insbesondere folge ich der Forderung, die erotische Subjektivität im Feld für die ethnologische Analyse fruchtbar zu machen (Kulick 1995). Ich zeige, daß die dichte Beschreibung von Feldsituationen aus meiner schwulen Perspektive Daten zur ethnologischen Untersuchung von männlicher Homosexualität in den Orten meiner Forschung liefert. Damit widerlege ich Vorwürfe der Nabelschau und des banalen Egoismus gegen die reflexive Ethnologie und insbesondere gegen die Behandlung von Homosexualität.

 

Die Sicht der reflexiven Ethnologie auf das Selbst der Forschenden als Forschungsinstrument verlangt die Einbeziehung der Sexualität und damit das Bekenntnis zur homosexuellen Identität. Wie ich im zweiten Kapitel an meinem Beispiel veranschaulichen werde, gestaltet sich das Offenlegen der homosexuellen Identität in heteronormativen Forschungsfeldern zwar äußerst kompliziert, doch die Folgen ihres Verschweigens müssen selbstkritisch bedacht werden. Erstens wird die womöglich nur imaginierte Stigmatisierung von Lesben und Schwulen durch das eigene Verschweigen indirekt fortgesetzt. Zweitens ist das Durchgehen als heterosexuell eine Distanzierung homosexueller ForscherInnen von ihren InformantInnen. Und drittens bedeutet das Bekenntnis zur homosexuellen Identität die Aufgabe eines höhergestellten Forscher-Ichs.

 

"[Um die Distanz zwischen Uns und den Anderen zu überbrücken], müssen wir bereit sein, unsere Privilegien, unsere Macht und unsere Vorstellungen über die von uns besetzten Kategorien [...] offenzulegen, seien es Kategorien ethnischer Zugehörigkeit, Klasse, Geschlechtsidentität oder der sexuellen Orientierung." (Blackwood 1995:72).

 

Der zweite Teil der Arbeit behandelt die ethnologische Forschung über Homosexualität. Das dritte Kapitel liefert den theoretischen Rahmen, in dem ich meine Daten über männliche Homosexualität in Maiori und Neapel ordne und interpretiere. Als zentrale Theorie der Anthropologie der Homosexualität erörtere ich den kulturkonstruktivistischen Ansatz. Wie kulturvergleichende Studien bestätigen, werden multiple Homosexualitäten kulturspezifisch und abhängig vom jeweiligen sozio-kulturellen Kontext definiert. Am Beispiel der rituellen Homosexualität aus Melanesien (Herdt 1981, 1984) werde ich die Kulturspezifik von Homosexualitäten verdeutlichen. Aus dem kulturkonstruktivistischen Ansatz läßt sich ableiten, daß im Kontext der westlichen Kultur ein eurozentrisches Konzept von Homosexualität entstanden ist. Seine Einzigartigkeit im weltweiten Standard findet ihren Ausdruck in einem neuen femininen lesbischen und maskulinen schwulen Identitätsmodell, in der egalitären homosexuellen Partnerschaft und im Phänomen der schwul-lesbischen Kultur. Im pluralistischen Konzept und in transkulturellen Typologien wird darüber hinaus auf Gender-definierte Homosexualität aufmerksam gemacht. Bei der männlichen Gender-definierten Homosexualität handelt es sich um eine effeminierte schwule Identität und um schwule Beziehungen nach dem aktiv / passiv und männlich / nicht-männlich (effeminiert) Trennungsschema. Am Ende des dritten Kapitels frage ich nach dem Einfluß der globalen Ausbreitung der schwul-lesbischen Kultur. Führt die Globalisierung schwul-lesbischer Kultur und ihrer Identitäts- und Partnerschaftskonzepte zur Homogenisierung traditioneller Homosexualitäten, alternativer Geschlechterrollen und Gender-definierter Konzepte?

 

Im vierten Kapitel ordne ich das Konzept der maskulin schwulen Identität und egalitären Partnerschaft meinen Vorstellungen und Erfahrungen von Homosexualität zu. Ich treffe es in der Großstadt Neapel wieder. Dem gegenüber entspicht das Gender-definierte Konzept den Auffassungen meiner maioresischen Informanten. Ich verfolge die Frage, warum diese verschiedenen Konzepte schwuler Identität und Partnerschaft auftreten. Der These koexistierender Konzepte von schwuler Identität und Partnerschaft von Murray / Roscoe (1997) folgend, begreife ich die Homosexualität meiner Informanten als lokalspezifische Formen westlicher männlicher Homosexualität. Ihre Lokalspezifik verstehe ich in Anlehnung an den kulturkonstruktivistischen Ansatz als geformt von der westlichen sexuellen Ideologie und vom sozio-kulturellen Kontext eines ländlichen Zentrums (Maiori) bzw. einer europäischen Großstadt (Neapel). Ich behaupte, daß das Verschweigen von Homosexualität im ländlichen Raum dazu führt, daß schwule Identität durch effeminiertes Verhalten performatorisch ausgedrückt wird. Gleichzeitig übernimmt der effeminierte Schwule die weibliche Rolle in der Gender-definierten Beziehung und reproduziert so die erwartete strikte Zweigeschlechtlichkeit der westlichen sexuellen Ideologie. In der Großstadt, dagegen, institutionalisiert sich die schwule Kultur. In ihr kann sich die der sexuellen Ideologie widersprechende maskuline schwule Identität emanzipieren.

 

Diese Behauptungen gründe ich auf die Ergebnisse meiner teilnehmenden Beobachtungen. In Maiori habe ich das Schweigen über Homosexualität besonders im kirchlichen und im öffentlichen Raum kennengelernt. Im Freizeitbereich und im Rahmen bestimmter Netzwerke war es dagegen möglich, Freiräume zu schaffen, in denen Schwulsein thematisiert werden konnte. Die Bar war ein zentraler Treffpunkt. In Neapel erlebte ich zusammen mit meinem Partner die dortige urbane schwule Kultur. Wir besuchten eine Institution der Schwulen- und Lesbengruppe und verbrachten einen Abend in der Szene, einen zweiten im Kreise neu gewonnener Freunde. In meinen Gesprächen mit den Schwulen erfuhr ich am Rande einiges über den Umgang mit Homosexualität in ihren Familien. Darauf, wie auf den Umgang mit Homosexualität in der Arbeitswelt, werde ich nicht weiter eingehen. Meine Erfahrungen beschränken sich auf männliche Homosexualität.

 

 

Teil I: Homosexuelle Identität der Forschenden

 

"Die Erfahrung, gerade die Spezifität meiner Erfahrung – eines einzelnen Menschens, der bestimmte andere Menschen zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt trifft und in der Interaktion mit ihnen bestimmte Interessen verfolgt – steht der Theorie nicht entgegen‚ sie stellt die Theorie dar und verkörpert sie" (Kondo 1990:24 zitiert von Kulick 1995:20).

 

1. Von der heteronormativen Ethnologie zu lesbischen und

schwulen Ethnographien

 

 

Warum habe ich mein Schwulsein nur marginal im Feldforschungsbericht thematisiert, wo es doch für mich persönlich und damit für meine Forschung von zentraler Bedeutung war? Welche Gründe bestehen für das Verschweigen homosexueller Identität der Forschenden in ihren Ethnographien? In den folgenden Abschnitten verorte ich das Problem in der Heteronormativität der Ethnologie (Haller 1996) und im generellen Verbot der Präsenz der Forschenden in ihren ethnographischen Texten (Wafer 1996). Ich verfolge, wie es durch die reflexive Wende und durch die Beachtung der erotischen Subjektivität für lesbische und schwule EthnologInnen möglich wird, sich zu ihrer homosexuellen Identität zu bekennen und lesbische und schwule Ethnographien zu schreiben.

 

 

1.1. Eine objektive Wissenschaft

 

In der Ethnologie herrscht nach wie vor eine bedrückende Stille in Bezug auf das Thema Homosexualität. In den Anleitungen zum ethnologischen Arbeiten findet sich erst seit Kürzestem Wissen über den Umgang mit homosexueller Identität (Kulick / Willson 1995, Lewin / Leap 1996). Homosexualität sei ein blinder Fleck im ethnologischen Denken, meint Haller (1996:182):

 

"Die kulturelle Amnesie weiter Teile der Kulturwissenschaften bezüglich Homosexualität, Homosexuellen, Homophobie und Gendervarianz (Kulturen mit mehr als zwei Gender) ist das Resultat heteronormativen Denkens als einer hegemonialen, privilegierten und noch immer unhinterfragten Perspektive der kulturwissenschaftlichen Suche nach Erkenntnis." Er definiert: "Heteronormativität basiert auf der Annahme, Heterosexualität (als sexuelles und soziales Verhalten, wie auch als Identitätsangebot) sei die essentielle Grundlage des Menschseins." (ebd.:184; vgl. Roscoe 1995:450 und Herdt 1997:9)

 

Die Thematisierung homosexueller Identität wird von weiteren Faktoren verhindert. So praktizieren die Forschenden eine strikte Trennung von Arbeit und Privatleben, und das Einbeziehen von Subjektivität in den wissenschaftlichen Diskurs ist noch immer umstritten. Wafer (1996:264) schreibt:

 

"Wir müssen verstehen, daß das Problem hier einfach die Präsenz der EthnologInnen in ihren Texten über die jeweilige soziale oder kulturelle Welt ist, und nicht etwa ihre Identität oder ihr Verhalten in dieser Welt. In einem akademischen Klima, in dem sogar dies kontrovers ist, läßt sich leicht verstehen, warum lesbische und schwule EthnologInnen zögern, Ethnographien zu veröffentlichen, in denen sie ihre Erfahrungen als Lesben oder schwule Männer in einer anderen Kultur thematisieren."

 

Burkhart (1996) fordert das Öffentlichmachen von persönlichen und beruflichen Motiven. Besonders homosexuelle Identität sei bei EthnologInnen eng verbunden mit der Wahl des Forschungsfeldes und –themas. Nicht umsonst übe die Ethnologie eine magische Anziehungskraft auf lesbische und schwule ForscherInnen aus. Ermutigt sie doch das Interesse an Anderen, schenkt divergierenden Ansichten Gehör, sieht das Normale als hinterfragbar an und untersucht die Auswirkung von Normen und Regeln auf die Lebenswelt. Damit könnte sie Raum für eine sich gegenseitig befruchtende Entfaltung schwuler und lesbischer Persönlichkeit und ethnologischer Forschung bieten (vgl. ebd.:42). Gerade die Ethnologie als die Wissenschaft vom Menschsein sollte ihre Heteronormativität überwinden. Doch die westliche Konzeption von objektiver Wissenschaft geht einher mit der Voraussetzung von Heterosexualität. Als die Ethnologie sich zu einer ernstzunehmenden Wissenschaft etablierte, entstand die Konvention, die Person des Forschenden im ethnographischen Text auszublenden. Objektiv sollten die Daten sein, die als Feldnotizen aufgenommen und später in der Ethnographie verwertet wurden. Obwohl die Subjektivität von EthnologInnen stets einen entscheidenden Einfluß auf ihre Feldforschungen ausübt, blieb diese im Namen der vermeintlich objektiven Wissenschaftlichkeit in den klassischen Ethnographien unausgewertet. Alles Subjektive galt als unwissenschaftlich. Es verschwand in die Tagebuchaufzeichnungen. Erst die posthume Veröffentlichung von Malinowskis Tagebuch (1967) verursachte eine Debatte über die ethnographische Konvention und förderte die reflexive Wende in der Ethnologie.

 

 

1.2. Die reflexive Wende in der Ethnologie

 

Mit der reflexiven Wende begann eine Fokussierung auf die Interaktion zwischen EthnologInnen und ihren Forschungssubjekten und ein Sich-Einbringen in den ethnographischen Text. Die Resultate zeigen sich in einer Vielzahl neuerer Ethnographien, die auf die unterschiedlichsten theoretischen Ansätze aufbauen. Ein Beispiel, dem ich in der vorliegenden Arbeit folgen will, ist Rabinows Schrift "Reflections on Fieldwork in Morocco" (1977). Programmatisch erklärt Rabinow:

 

"Dieses Buch ist der Bericht meiner Felderfahrung in Marokko; es ist auch ein Essay über Ethnologie. Ich habe versucht, den doppelten Widerspruch zu lösen, der die Ethnologie in der Vergangenheit gekennzeichnet hat. Als Studenten bekommen wir gesagt, ‚Ethnologie entspricht der Erfahrung‘; man ist kein Ethnologe, bis man die Erfahrung des Feldes gemacht hat. Doch wenn man vom Feld zurückkehrt, trifft sofort das Gegenteil zu: Ethnologie ist nicht die Erfahrungen, die einen zum Initianden haben werden lassen, sondern nur die objektiven Daten, die man mit zurück gebracht hat." (1977:4, vgl. Rabinow 1986:244).

 

Rabinow liefert eine reflexive Ethnographie ab. Statt um die Darstellung vermeintlich objektiver Fakten, bemüht er sich um die Dokumentation seiner Erfahrungen im Feld. Die subjektive Felderfahrung ist sein Datenmaterial. Es wird nicht erst in einem angeblich wissenschaftlichen Schritt objektiviert. Bei sich selbst beginnend und dann zu seinen InformantInnen übergehend, beschreibt er die Akteure des Feldforschungsprozesses und ihre Handlungen. Der reflexive Schreibstil macht die Motivation der Datenverarbeitung nachvollziehbar und läßt den Forscher sichtbar werden. Ein weiteres nachahmenswertes Beispiel ist Nadigs (1986) ethnopsychoanalytische Untersuchung der Kultur mexikanischer Bäuerinnen. Auch Nadig betont die wissenschaftliche Relevanz ihrer Subjektivität. Sie behandelt ihre "eigenen Gegenübertragungsreaktionen und Irritationen auf den Forschungsprozeß" als zentrale Forschungsdaten, die sie dafür in einem "Forschungstagebuch" festgehalten hat (vgl. ebd.:39f).

 

Besonders zwei Aufsatzsammlungen (Marcus / Fischer 1986; Clifford / Marcus 1986) setzten sich theoretisch mit der Notwendigkeit einer reflexiven Ethnologie und den Potentialen entsprechender Ethnographien auseinander und entfachten die sogenannte Writing Culture – Debatte. Sie begrüßten die neuen, experimentellen Formen der Repräsentation in ethnographischen Texten. Mittels selbstreflexiver Schreibstile können die Erfahrungen und Interaktionen der Forschenden im Feld vollständiger wiedergegeben und damit für die ethnologische Analyse fruchtbar gemacht werden. Statt Beobachter mit "göttlichem Blick" zu sein (Jackson 1989 zitiert bei Wafer 1996:264), treten die Forschenden als Mit-Akteure ein in ihre Texte über die von ihnen beschriebenen sozialen und kulturellen Welten. Okely und Callaway (1992) argumentieren, daß die forschende Person mit ihrer Autobiographie, ihren Interessen usw. Feld und Text strukturiere. Desalb dürfe das Persönliche der Forschenden im Forschungsbericht nicht mehr abgetrennt werden. Auch die Spezifität der InformantInnen dürfe nicht verloren gehen. Deshalb fordern die beiden Herausgeberinnen, die Einflußnahme von Individualität und Autobiographie der Forschenden und der Beforschten auf den Prozeß, die Interaktion und das gesammelte Material der Feldforschung ernster zu nehmen. Mit der Konzentration auf das (Auto-)Biographische versucht man bewußt, auch die Stimmen der Repräsentierten hörbar zu machen und Ethnographie als institutionell, historisch und politisch situiertes, literarisches Genre aufzufassen und weiterzuentwickeln (vgl. James / Hockey / Dawson 1997:1). "Hermeneutische Fragen der Wahrnehmung, Selbstreflexion und der Subjektivität im Forschungs- und Erkenntnisprozeß" werden laut Nadig (1997:75) seitdem in der reflexiven Ethnologie weiter "erörtert und auch experimentell angegangen."

 

 

1.3. Die erotische Subjektivität von EthnologInnen

 

"Unsere Subjektivitäten formen die ethnologische Theorie und Methode." (Blackwood 1995:55, vgl. Bolton 1995).

 

Wenn das Selbst das Werkzeug von ethnologischer Datenerhebung und Theoriebildung darstellt, dann situiert es die Forschenden im Forschungsprozeß und limitiert ihre Perspektiven. In dem Moment, in dem EthnologInnen in ihren Texten präsent sein dürfen, rückt die Thematisierung ihrer Sexualität mit auf den Plan. Bereits Malinowskis Tagebuch – voller erotischer Träume und Phantasien – hatte das übliche Schweigen über Sexualität im Feld entblößt. Der Eintritt der verschiedenen erotischen Subjektivitäten ins Licht der Wissenschaft dauert jedoch bis heute an. "Durch all die Jahrzehnte der Beschäftigung mit dem Sexualleben der Anderen hinweg sind EthnologInnen über ihre eigene Sexualität sehr verschlossen geblieben.", schätzt Kulick (1995:3) ein. Trotz der Fülle von reflexiver Literatur sei besonders die Sexualität des Ethnologen im Feld kein Thema der Forschung geworden.

 

"In Anlehnung an Esther Newton argumentiert Kulick, daß die Abwesenheit der erotischen Subjektivität zwei heteronormative Funktionen erfüllt: einmal die Stärkung der männlich-heterosexuellen Subjektivität, indem diese nicht zum Objekt von Forschung und Reflexion wird; und zweitens das Stumm-Machen von Frauen und Homosexuellen, ‚für die Angelegenheiten von Sexualität und Gender niemals unproblematisch sein können‘ (Newton 1993:8), da für sie Respektabilität, ihre Position im anthropologischen Mainstream und ihre Karrieren auf dem Spiel stehen." (Kulick 1995 zitiert bei Haller 1996:185)

 

Auch EthnologInnen im Feld sind, wie die von ihnen Untersuchten, sexuelle Subjekte. Sie zeichnen sich aus durch ihr anatomisches Geschlecht, ihre Geschlechtsidentität und durch sexuelle Identität oder sexuelles Begehren. Sie gehen erotische Beziehungen ein und haben sexuelle Begegnungen. Die Geschlechtsidentität der Forschenden ist bereits zu einer epistemologisch bedeutsamen Größe in der qualitativen Sozialforschung allgemein und in der ethnologischen Feldforschung im Besonderen avanciert. Ausführlich wurde die Bedeutung der Geschlechtsidentität (gender) für Feldforschung und Ethnographie zum Beispiel von Warren (1988) diskutiert. Die Ethnographie als das aufpolierte Endprodukt der Feldforschung könne weder vom Schreibenden noch vom Lesenden verstanden werden, ohne das explizit auf die Art und Weise eingegangen wird, in der die Geschlechtsidentität des/der Forschenden sowohl den Prozeß der Feldforschung als auch der Vertextlichung beeinflußt. (vgl. ebd.:5) Nach der Betrachtung der Geschlechtsidentität fehlte bis vor Kurzem eine analytische Untersuchung der Auswirkungen von sexueller Identität oder sexuellem Begehren (desire) auf das ethnologische Arbeiten. Von dieser Tabuisierung waren homo- und heterosexuelle Identität betroffen. Noch 1993, in einer weiteren Anthologie über die Wichtigkeit der Geschlechtsidentität von EthnologInnen für ihre Feldforschung, wurde eingeschätzt:

 

"das Schweigen in der Literatur bezogen auf [homosexuelle Anziehungen oder Beziehungen im Feld] ist noch betäubender als jenes bezogen auf heterosexuelle Beziehungen." (Bell / Caplan / Karim 1993:23). "Noch immer ist Reflexivität über heteronormative Standards selten in anthropologischer Literatur ... Anders als etwa Androzentrismus und male bias, die durch feministische Fragestellungen in den Kulturwissenschaften bereits hinterfragt wurden, bedürfen Heteronormativität und ihr Einfluß auf Gleichsetzungen und Oppositionen erst noch der kritischen Analyse durch die Gemeinschaft der Ethnologen." (Haller 1996:198).

 

Zu den ersten AutorInnen, die sexuelle Felderfahrungen in ihren Ethnographien selbstreflexiv behandelten, zählen Rabinow und Cesara. Rabinow (1977:68f) berichtet von einem Ausflug vom Feld, der die sexuelle Begegnung mit einer Marokkanerin beinhaltet und Cesara (1982) beschreibt, wie ihr die Liebe zu einem Informanten dessen Kultur näherbrachte. In der Aufsatzsammlung von Kulick und Willson (1995) wird erstmals ausführlich die Bedeutung von Sexualität, sexueller Identität und erotischer Subjektivität im Feld von hetero- und homosexuellen EthnologInnen ausgesprochen. Im Vorwort verlautet Kulick (1995:5), daß erotische Subjektivität ein Potential nützlicher Quellen der Erkenntnis darstelle. Diese These bestätige ich mit meiner Arbeit. In den folgenden Absätzen möchte ich einige wesentliche Argumente einzelner Beiträge näher erläutern.

 

Besonders gelungen vermittelt Altork (1995) die erotische Komponente von Feldforschung und ihre überaus sinnliche Natur. Sie schreibt:

 

"Elemente des Erotischen ... üben einen grundlegenden Einfluß auf das aus, was EthnologInnen selektiv im Feld lernen. Dieser selektive Wahrnehmungsprozeß beeinflußt die Art und Weise in der ein bestimmtes Land und seine Bewohner textuell - in der gereiften Frucht des Feldforschungsprozesses – repräsentiert werden" (ebd.:109).

 

Die erotischen Elemente, von denen Altork spricht, beinhalten ein Sich-Ergreifen-Lassen vom Sinnlichen, die Zulassung sexueller und emotionaler Leidenschaften als Teil der Felderfahrung und die sprachliche Einbeziehung dieser Leidenschaften in die Konstruktion des Textes (vgl. ebd.). Statt nur zu kritisieren, daß Malinowski seine Emotionen ins private Tagebuch wegschrieb, lobt Altork seine brilliante Art zu schreiben. Sie nennt ihn einen wahren Synesthetiker, der sich nicht auszusprechen scheute, daß er die Farben eines Sonnenuntergangs auch zu hören und zu fühlen schien (vgl. ebd.:116ff). Die erotische Komponente meiner Feldforschung veranschauliche ich in den dichten Beschreibungen aus meinem Forschungstagebuch (Abschnitt 2.3.)

 

Vorhandene Vorstellungen über Feldforschung und den Feldforschenden, so meint Killick (1995) in seinem Beitrag, würden eine männlich-heterosexuelle Position definieren. Diese unhinterfragte männlich-heterosexuelle Subjektivität strukturiere Feldforschung normativ (vgl. ebd.:77). Die Metapher vom Feldforscher als heterosexuellem, maskulinem Penetrator des weiblich Fremden sei nicht allein auf die patriarchalen und kolonialen Ursprünge der Disziplin zurückzuführen. Die Penetration des Fremden würde auch durch weiblich-heterosexuelle und lesbische oder schwule EthnologInnen wiederholt (vgl. ebd.:103). Genauso problematisch wie das Verschweigen weiblicher Geschlechtsidentität und lesbischer und schwuler Identität sei auch die Annahme der sexuellen Ausbeutung des Feldes durch den weißen, heterosexuellen Forscher. Als solcher leide man unter einem Schuldkomplex, Macht zu besitzen und diese angeblich auszunutzen (vgl. ebd.:81). Malinowskis notorisches Tagebuch wäre aus dieser Sicht ein seltenes Zeugnis des mit Schuldgefühlen geplagten heterosexuellen Feldforschers (vgl. ebd.:82f). Auch die Sexualität des Hetero-Mannes zählt zu den bisher verschwiegenen und nun zu beschreibenden erotischen Subjektivitäten. Die Thematisierung meiner schwulen Identität im Feld soll als Aufruf gelten, auch die lesbische und die heterosexuellen Identitäten als Erkenntnisinstrumente nutzbar zu machen.

 

Kulick und zwei weitere AutorInnen bekennen sich offen zu ihrer homosexuellen Identität. In ihrem lesenswerten Beitrag outet Blackwood (1995) sich und ihre Liebe zu einer Indonesierin, während Bolton (1995) offen über schwulen Sex als Teil seiner ethnologischen Forschung über die Auswirkungen von AIDS auf die Kultur schwuler Männer berichtet. Blackwood und Bolton setzen sich zentral mit Forschungserfahrungen bezüglich homosexueller Identität auseinander. Ihrem Beispiel folgt der von Lewin und Leap (1996) herausgegebene Band Out in the Field, in dem das Bekenntnis zur lesbischen oder schwulen Identität im Feld zum Programm erklärt wird. Die Erkenntnisse dieser AutorInnen nutze ich zur Bearbeitung meiner Felderfahrungen und Daten über Homosexualität. Mein Ziel ist es, eine "schwule Ethnographie" zu schreiben.

 

"In einer lesbischen oder schwulen Ethnographie ist die Identität der Ethnographin oder des Ethnographen als Lesbe oder Schwuler ein expliziter und integraler Teil des Textes." (Wafer 1996:261)

 

Nach dieser Definition können auch die folgenden Arbeiten als Beispiele schwuler Ethnographien gelten. Ich möchte diese hier anführen, um die Problematik ihrer tatsächlichen Verwirklichung hervorzuheben. Schneebaum gelangte durch seine Feldaufenthalte in Peru (1969) und bei den Asmat auf Papua NeuGuinea (1988) zu einem gestärkten Selbstbewußtsein bezüglich seiner eigenen Homosexualität. Im Westen als Homosexueller isoliert und stigmatisiert, ist er vom freien Umgang mit homosexuellem Verhalten in diesen Kulturen fasziniert. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlt er sich verstanden (vgl. 1988:43). Schneebaums Kritik an der eigenen Kultur birgt jedoch die Gefahr der Romantisierung der anderen Kulturen. Schneebaums subjektive Forschungen werden nicht als Ethnographie, sondern als Literatur rezipiert. Dasselbe gilt für den ethnologischen Roman von Fichte (1988), "der in den sechziger Jahren in Portugal gelebt und sich mit Homosexualität auseinandergesetzt hat" (Dracklé 1998:118). Darunter fällt ebenso die lesenswerte ethnologische Untersuchung von Roes (1996) zum Thema Spiel. Auch Roes setzt sich im Feld mit (seiner) Homosexualität auseinander. Er veröffentlicht einen Text, der Reisetagebuch und ethnologischer Feldforschungsbericht zugleich ist. Roes stellt eine Orient-Expedition aus dem 18.Jahrhundert in die arabische Rub‘ al-Khali Wüste mit seiner Feldforschung im Jemen verwoben dar. Damit verpackt er seine in Momentaufnahmen dokumentierten Felderfahrungen in eine prosaische Rahmenhandlung, den fiktiven historischen Reisebericht. Diese Vermischung von Dokumentation und Fiktion erlaubt ihm die Exploration des vollen sinnlichen und emotionalen Gehaltes seiner Felderfahrung und die Thematisierung von Homosexualität. Mir gilt Roes` Arbeit als unkonventioneller, wissenschaftlicher Forschungsbericht eines offen schwulen Ethnologen.

 

Ich habe gezeigt, wie das Erscheinen von Malinowskis Tagebuch, die reflexive Wende und die Writing Culture - Debatte den Weg bahnen, die Subjektivität der Forschenden zum wissenschaftlichen Erkenntnisinstrument zu erklären. Die Einbeziehung der erotischen Subjektivität bringt die Möglichkeit, auch über homosexuelle Identität der ForscherInnen zu reden. Sie unterlag bisher einer unhinterfragten "Annahme von Heterosexualität" (Blackwood 1995:56, 71). Herdt und Boxer schreiben ebenso:

 

"In der Vergangenheit wurde innerhalb der Wissenschaft davon ausgegangen, daß die Untersuchenden heterosexuell seien, und diese Annahme ist selbst in den ‚Kulturwissenschaften‘ heute noch unhinterfragt, es sei denn, die AutorInnen bekennen sich anderwärtig" (1993:xviii).

 

Ich betrachte den selbstreflexiven Umgang mit meiner schwulen Identität im Feld und beim Schreiben als unbedingt erforderlich.

 

 

 

2. Als schwuler Ethnologe nach Süditalien

 

Zunächst dokumentiere ich ausführlich aus meinem Forschungstagebuch meine Ankunft im Feld und insbesondere jene Momente, in denen meine sexuelle Identität zur Debatte stand. Da sich meine Partnerschaft über meine schwule Identität definiert, ist das Antworten auf Fragen über das Liiertsein für mich (nicht nur im Feld) problematisch. Anschließend analysiere ich im Abschnitt 2.2. den anfänglichen Umgang mit meiner schwulen Identität in Gesprächen über Verwandtschaft. Im letzten Teil dieses Kapitels folgt die dichte Beschreibung der Bekenntnisse meiner schwulen Identität vor einigen InformantInnen und die Bekenntnisse anderer Schwuler vor mir. Dabei werden wir mit unseren unterschiedlichen Auffassungen von schwuler Identität und Partnerschaft konfrontiert. Ich beschreibe unsere gemeinsamen Erlebnisse und erotische Momente im Feld. Ethnographisch arbeiten bedeutet, im Herzen des Fremden anzukommen. Erotik und Liebe tragen das ihre zum Verständnis von Kultur und der Position der Forschenden in ihr bei (vgl. Rabinow 1977:71f; Cesara 1982; Kulick 1995:20; Dubisch 1995:31; Blackwood 1995, Killick 1995:98; Altork 1995; Bolton 1995:140).

 

 

2.1. Meine Ankunft im Feld

 

Als ich in "mein" Dorf aufbreche, überkommt mich das erste Mal seit der Abreise von zu Hause ein Gefühl von Ohnmacht. Die gemeinsame Autofahrt mit einer der insgesamt 18 ProjektteilnehmerInnen durch ganz Deutschland, über die Alpen und vorbei am Ballungsgebiet Mailand hatte in uns noch ein Hochgefühl von Abenteuer erzeugt. Immer ungewohnter erschienen die Gegenden in Richtung Süden, die weite Poebene, die malerische Toskana und schließlich Lazio und Kampanien. Die Ankunft in Atrani am 17. Februar 1996 war mit großer Erleichterung und Freude verbunden gewesen. Wir hatten die dreitägige Autofahrt gemeistert und trafen die Projektgruppe, mit der wir anfangs in einer Jugendherberge untergebracht waren. Die nächsten zwei Tage vergingen mit dem Vorbereitungsseminar im Centro Universitario im zauberhaften Ravello. Obwohl wir die wunderbare landschaftliche Schönheit der amalfitanischen Küste genossen, stieg in uns die Spannung.

 

Am Morgen des 21. Februar stehe ich in der Herbergsunterkunft in Atrani auf, packe meine Sachen, checke aus, frühstücke noch im Ort und nehme dann unter großer Aufregung gegen Mittag den Bus nach Maiori. Die wenigen Straßenkilometer sind für mich in diesem Moment ein weiter beschwerlicher Weg. Selbst jetzt, beim Schreiben dieses Absatzes, fühle ich noch einmal die innere Unruhe, die damals Besitz von mir ergriff, als ich eine Grenze überschritt, mich von den anderen StudentInnen verabschiedete, um allein das Dorf aufzusuchen, in dem ich sechs Wochen im Convento San Francesco verbringen würde. Der Bus ist voller Schüler und Schülerinnen und wenigen Erwachsenen. Mein Gepäck stört. Obwohl es mir zuvor in Ravello bestätigt wurde, frage ich meine Sitznachbarin, ob der Bus am Franziskanerkloster hält. Ich brauche Gewißheit. Ich habe Angst.

 

Der 6000 Einwohner zählende Ort an der Küste taucht auf. Kurz darauf hält der Bus genau vorm Kloster. Ich steige aus. Meine Feldforschung beginnt. Und sofort werde ich auf deutsch von Christian, der ebenfalls ausgestiegen war, freudig begrüßt. Die Unterbringung aller FeldforschungsteilnehmerInnen war vom Centro Universitario mit Unterstützung des Istituto Tecnico per il Turismo (Fachoberschule für Tourismus) in Amalfi geregelt worden. Christian, so erfahre ich, lernt seit einigen Monaten am Istituto, von wo er soeben mit dem Schulbus zurückgekehrt war. Er kommt aus München, ist 17 Jahre alt, obwohl er älter aussieht. Dank seiner Vermittlung kann ich im Convento S. Francesco, als längerfristiger Gast wohnen. Seine Präsenz nimmt mir die Sorgen des Ankommens im Kloster und im Feld. Er wird für mich eine wichtige Zugangsperson zu jugendlichen Maioresi und in der Anfangsphase hilfreicher Dolmetscher. Obwohl er im Convento in die religiöse Familie der Mönche aufgenommen worden war und in der Schule und im Ort einen großen Freundes- und Bekanntenkreis besaß, war seine Bereitschaft, mir zu helfen, gleichzeitig Zeichen seiner eigenen Außenseiterrolle. Von den Personen im Convento und im Ort war er der mir am wenigsten Fremde. Er suchte und fand in mir einen außenstehenden Beobachter, dem er auch Probleme anvertrauen und mit dem er mal wieder deutsch reden konnte. Ich hatte durch ihn einen Verbündeten.

 

Der erhabene Gebäudekomplex des 1405 gegründeten Franziskanerklosters zwängt sich zwischen Maioris unfertigen, staubigen Hafen und eine hoch aufragende Felswand. Trotz wiederholter Zerstörungen durch Sturzwellen und Erdrutsche beließ man Kloster und Kirche hier an diesem Platz auf Meeresniveau. Das letzte Mal wurden Teile der Klosteranlage bei einem die gesamte Stadt in Mitleidenschaft ziehenden Unwetter im Oktober 1954 unter Schlammlawinen begraben und zerstört. Die Renovierung sorgte dafür, daß das Kloster heute sehr neu aussieht. Wo es früher einmal einen Wasserfall gab, verläuft nun ein einbetonierter Abfluß entlang der Auffahrt. Hier parken die Autos der Mönche und der BesucherInnen. Über ein paar Stufen gelangen Christian und ich zum Hintereingang des Klosters. Bevor wir eintreten, zeigt er mir den Garten. Zwei mit Gerüsten für Kletterpflanzen überdachte und überwucherte Gartenwege führen entlang an Vogelvolieren mit gurrenden Tauben und zwitschernden Sittichen und Finken zum Kaninchen- und Hühnerstall und dem Terrain abgerungenen Gemüsebeeten. Die üppige Vegetation aus Gartenkräutern, Gummibäumen, Palmensträuchern und Kakteen färbt das Fleckchen bis zur kahlen, steilen Felswand selbst in den Wintermonaten grün. Dazu kommen die leuchtenden Farben der Früchte von Zitronen- und Mandarinenbäumen. Überall hängen Kalebassen und die lokal angefertigten Keramiktafeln zur Zierde.

 

Ich werde äußerst herzlich von Padre Luigi, dem amtsführenden Ordenspriester, und Frate Antonio, dem über 70-jährigen, großväterlichen Klosterbruder ohne Priesterweihe, im Convento empfangen und aufgenommen. In der großen Küche essen wir zusammen mit Francesca, einer der beiden Köchinnen und Padre Filippo zu Mittag. Nie vergesse ich die Mixtur aus kräftigen Gerüchen, von dampfender Pasta, gekochtem Fisch, eingelegten Tomaten, gebratenen Auberginen, Olivenöl, Knoblauch und tausend anderen Köstlichkeiten, die den Raum zu den Mahlzeiten erfüllte. Das gemeinsame Essen war stets ein kleines Fest. Nach einigen Minuten stößt der 15-jährige Antonello dazu, der ebenfalls hier untergebracht ist. Er besucht, wie Christian, eine Scuola Superiore (weiterführende Schule), in seinem Fall das Istituto Nautico (Fachoberschule für Seefahrt) in Maiori. Auch Antonello wurde für die Anfangszeit meines Einlebens im Feld sehr wichtig. Doch auch er war eine marginale Person im Ort. Die Wochenenden verbrachte er zu Hause bei seiner Familie in Salerno. Zu den ständigen BesucherInnen des Klosters und seiner Bewohner gehören die JungfranziskanerInnen, oder Gifra, wie sie sich nennen. Nach und nach lernte ich viele von ihnen und besonders einen Freundeskreis und damit "echte" Maioresi kennen.

 

Christian zeigt mir mein Zimmer in einem Seitenflügel der bewohnten Etage. Im selben Flur wohnen auch er und Antonello. Mein Zimmer ist perfekt. Zwar spartanisch eingerichtet mit einem Bett, einem Nachttisch, einem Schrank und zwei Heiligenbildern, hat es doch den Komfort eines Schreibtisches und ist mein eigener Raum mit gleichzeitigem Anschluß und Kontakt zu den Bewohnern und BesucherInnen des Klosters. Hier kann ich mich regelmäßig abends oder auch zu bestimmten Tageszeiten zurückziehen und in völliger Ruhe meine Aufzeichnungen machen, was anderen StudentInnen aus Platzmangel und fehlender Privatsphäre erschwert wurde. Von meinem Fenster aus sehe ich die Küstenstraße nach Minori, wie sie sich an die ins Meer stürzenden Felsen schmiegt. Oft staune ich wie die Busse es jedesmal wieder schaffen, um die enge Kurve zu gelangen. Direkt unter meinem Fenster steht ein früchtetragender Zitronenbaum.

 

Als Antonello mich am Nachmittag in meinem neuen Zimmer besucht, findet sich schnell ein Nutzen in unserem befremdlichen Aufeinandertreffen. Wir erledigen gemeinsam seine Englischhausaufgaben. Danach bietet er mir seine Gesellschaft für meinen ersten Spaziergang durch Maiori an und am Abend unternehme ich mit ihm die erste Passeggiata auf der Lungomare, der Strandpromenade. Unsere von Sprachbarrieren gekennzeichneten ersten Gespräche drehen sich um Themen wie Lieblingsmusik, Essen, Angeln, Schule, Eltern, Haarschnitte, Armee, Kino, Christian und natürlich ums Verlobtsein. Aus seinem Mund höre ich das erste Mal die Frage: "E tu Marco, sei fidanzato?" Ich verneine und lenke unser Gespräch auf andere Themen. Aus meiner Sicht blieb unsere Beziehung oberflächlich. Antonello half mir, meine Untersuchungsorte, die Schulen, zu finden, Arbeitsmaterialien zu erstehen und er wurde selbst zum Forschungssubjekt. In der aus dem Projekt entstandenen Fotoausstellung "Una Geografia dell‘ Infanzia. Bambini in Costiera Amalfitana." wird Antonello mehrmals als Informant zitiert und abgebildet. Meine schwule Identität habe ich ihm nicht offenbart. Dadurch blieb zwischen uns eine Distanz bestehen.

 

Vor dem Abendessen werden Bibelverse gelesen, wobei Padre Luigi eine Strophe vorliest und der Refrain gemeinsam gesprochen wird. Ich bekomme mein Buch, habe aber Schwierigkeiten zu folgen, geschweige denn, mitzusprechen. Antonello weist mir mehrmals die Stelle im Buch, die gerade rezitiert wird. Abends sind wir eine reine Männerrunde. Francesca oder Letizia, die tagsüber die Küche beherrschen, bereiten die Speisen für den Abend vor. Frate Antonio, den alle Zio Antonio nennen, erinnert mich manchmal an Charlotte von Mahlsdorf, wenn er sich verstellt und eine Frau mimt. Oder er sagt ständig, wohl von Christian trainiert, "Dankescheen!", "Bittescheen!" oder "Auf Wiederseen!" und das nicht nur an passenden Stellen. Alle gehen äußerst freundlich mit mir um. Besonders Padre Luigi ist sehr entgegenkommend. Ich solle mir keine Sorgen machen, daß der abgemachte Preis für die Unterbringung nur eine Mahlzeit am Tag beinhalte. Als Franziskaner wäre er aus Überzeugung bereit, mir Mittag- und Abendbrot zu geben. Am ersten Abend gewittert es draußen. Aus meinem Fenster beobachte ich, wie die Wellen des Meeres gegen die Hafenmauer und sogar bis auf die Straße peitschen.

 

Bereits am zweiten Tag erlebe ich kurz vorm Mittagessen eine theaterreife Szene. Lautes Schallen in den Klosterkorridoren lockt mich aus meinem Raum. Es kommt aus Zio Antonios Zimmer. Wie im Sterben liegt er in seinem Bett. Was wie ein fremdländischer Singsang klang, entpuppt sich nun als leidvolles Weinen. Padre Luigi und mehrere jugendliche Gifra sitzen verteilt auf Zio Antonios Bettrand. Alle schauen bedrückt und versuchen, ihn zu trösten. Als Zio Antonio sich wieder beruhigt hat und alle auseinandergehen, nimmt Padre Luigi mich auf dem Flur zur Seite, zieht mich an sich und beschwichtigt, es gäbe keinen Grund zur Aufregung. Durch Christian erfahre ich von der tiefen Antipathie, die Zio Antonio und Padre Filippo für einander hegen. Auslöser war wieder irgendeine Gehässigkeit von Padre Filippo. Die Gemeinschaft der Klosterbewohner, ihre "Familia Cristiana", war eben wie jede andere Familie auch. Padre Filippo wurde wegen seiner Käuzigkeit von fast allen gemieden. Doch auch der liebenswürdige Zio Antonio war sicherlich nicht ganz unschuldig an dem Dilemma.

 

Padre Luigi hatte meine Unbeholfenheit beim Beten vor den Mahlzeiten bemerkt. So geschieht es, daß er mich am dritten Tag von der Küche zu meinem Zimmer begleitet. Folgender Eintrag vom 24. Februar 1996 findet sich in meinem Feldtagebuch: "Als ich auf dem Flur die Christusbilder entdecke, erklärt Padre Luigi mir, das sei die Geschichte des Kreuzgangs Jesu in 14 Bildern. Er schreitet mit mir die ersten sechs Bilder ab, dann fragt er mich, ob ich katholisch sei. Ich erkläre, daß meine Großeltern und meine Eltern evangelisch sind, ich aber aus politischen und kulturellen Gründen in der DDR nicht getauft wurde. Padre Luigi nickt zustimmend und als Zeichen der Wichtigkeit seiner folgenden Worte fäßt er mich an den Arm und erklärt, daß Gott für alle Menschen da sei und es nie zu spät wäre ... Dann fragt er mich, ob ich verlobt sei. Mit einem die Wahrheit verbergenden Lächeln antworte ich: "Nein"! Er sagt, das wäre besser, es gäbe noch Zeit dafür nach dem Abschluß des Studiums und dann würde das Leben früh genug anders werden. Ich lächele immer noch und spüre meine Fremdheit an diesem Ort."

 

Am folgenden Tag bietet Zio Antonio mir an, während der Sonntagsmesse bei ihm im Chor zu sitzen. Da ich mich während der Messe weder bekreuzige, mit bete, noch am Abendmahl teilhabe, fragt er mich in seinem Zimmer nach der Messe, ob ich denn gar nicht katholisch sei. Auch ihm erkläre ich meine atheistische Erziehung. Von da an erklärt Zio Antonio mir zum Beispiel die Bedeutung mancher Tage im religiösen Kalender oder erzählt mir Geschichten über Jesus und Franziskus. Ich bleibe immer herzlich willkommen in seinem Zimmer, dem Treffpunkt der Gemeinde und der Jugendlichen. Uns alle betitelt er liebevoll als seine Nipóti spirituali, seine spirituellen Kinder.

 

Am Abend verzeichne ich in meinem Taschenkalender die verbleibenden Tage meines Feldaufenthaltes. Noch 35. Ich leide trotz des guten Anfangs unter Heimweh und darunter, fremd hier zu sein. Soll ich meine katholischen Gastgeber nach meinem Atheismus auch noch mit meiner Sexualität konfrontieren? Aus meinem Walkman erklingt Losing my Religion von R.E.M., ein Lied, das mich jetzt mit Zuhause verbindet. Es gibt mir in diesen Momenten Kraft und ist, mein, wenn auch säkularer, Glaube.

 

 

2.2. Die Annahme von Heterosexualität

 

Wie in dieser dichten Beschreibung zu sehen war, ist der Eintritt ins Feld ein kritischer Punkt einer Feldforschung. Besonders in der Phase des Ankommens führt die Konfrontation mit der "fremden" Kultur zu beachtenswerten Irritationen. Warum hatte ich Angst vorm Feld? Meine Ohnmachts- und Angstgefühle entstanden durch die anfänglich besonders schroff empfundene Deplaziertheit im Feld. Diese rühre her vom Umgang mit fremden Leuten, mit ungewohntem Verhalten und vom Gebrauch einer Fremdsprache. Am schwierigsten unter all diesen Umständen sei es, man selbst zu sein. Man fürchte sich, man selbst zu sein, weil man nicht wisse, wie dieses Selbst aufgenommen wird (vgl. Dubisch 1995: 39f). In den ersten drei Tagen meines Feldaufenthaltes lerne ich die auf Reziprozität basierende Gastfreundschaft, die lebhafte Theatralik und die gelebte Religiosität der Menschen im Franziskanerkloster kennen. Es entbehrt nicht einer gewissen Kuriosität, daß es ausgerechnet mich, den schwulen Atheisten der ForscherInnengruppe, ins Kloster verschlagen hat. Mit meiner subjektiven Perspektive schaue ich auf die religiöse Familie der Mönche. Ich bekenne mich vor ihnen zu meinem Atheismus und nehme in der Kirche die Rolle des Beobachters ein. Während der Messen ziehe ich es vor, zwischen den Gemeindemitgliedern im Kirchenschiff zu sitzen. Dennoch werde ich als spiritueller Sohn in die Gemeinschaft aufgenommen.

 

Neben der religiösen ist auch die leibliche Verwandtschaft im Feld ständig im Gespräch. Bei jeder Frage zum Familienstand muß ich mich entscheiden, ob ich meine schwule Identität preisgebe oder nicht. Mein Liiertsein definiert sich über mein Schwulsein. Weston (1991) hat heterosexistische Definitionen von Verwandtschaft hinterfragt. Sie argumentiert, daß homosexuelle Partnerschaften sich nicht auf Sexualität reduzieren lassen. Vielmehr handelt es sich um verwandtschaftliche Beziehungen, auch wenn die Gesellschaft diese als solche nicht legitimiert und die Verwandtschaftsethnologie sie nicht wahrnimmt. Weston zeigt die Gleichwertigkeit von Blutsverwandtschaft (heterosexuelle Familie) und Wahlverwandtschaft (homosexuelle Familie). Desweiteren widerlegt sie die Annahmen, daß Lesben und Schwule sich mit dem Bekenntnis zur homosexuellen Identität von ihrer biologischen Familie lösen, kinderlos bleiben und damit einen Endpunkt in der Verwandtschaftslinie darstellen müssen. Der heterosexuellen Fortpflanzung stellt Weston alternative Befruchtungstechnologien und nicht-heterosexuelle Elternschaft gegenüber. Schon Adam (1986) meinte, gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen Individuen funktionierten wie andere Verwandtschaftsbeziehungen auch. Dabei berief Adam sich auf Levi-Strauss, der behauptet hatte, Verwandtschaft bestünde nicht in objektiven Beziehungen von Abstammung oder Blutsverwandtschaft zwischen Individuen. Sie existiere nur im menschlichen Bewußtsein und sei ein willkürliches System der Repräsentation (vgl. Levi-Strauss 1963:51 zitiert bei Adam 1986:20).

 

Aus Angst, die Beziehungen zu meinen Informanten aufs Spiel zu setzen, verschweige ich zunächst meine Partnerschaft zu Hause und verberge meine schwule Identität. Die Erfahrungen anderer lesbischer und schwuler ForscherInnen belegen die Schwierigkeiten, zur homosexuellen Identität zu stehen. Blackwood (1995) unternahm für ihre Dissertation eine Feldforschung bei den Minangkabau auf Sumatra zum Thema sozialer Wandel, Geschlechtsidentität und Macht. Inoffiziell untersuchte sie auch lesbische Identität. Sowohl an der Universität als auch im Feld verheimlichte sie diesen Teil ihrer Arbeit zunächst: "Ich wollte meine Chancen, meine Forschung erfolgreich zu beenden, nicht aufs Spiel setzen." (ebd.:56) Später jedoch bekannte sie sich zu ihrem Lesbischsein vor ihrer "Mutter im Feld". Zu Blackwoods großer Erleichterung akzeptierte Ibu sie, wie sie war, forderte aber, öffentlich darüber zu schweigen (ebd.:60). Auf der einen Seite kritisiert Blackwood das verzweifelte Versteckspiel mit der homosexuellen Identität, das Erfinden von Verlobten zu Hause etc. Damit stelle man sich nicht zuletzt über seine InformantInnen und distanziere sich von ihnen (ebd.:56f). Andererseits gibt sie zu, es sei einfach sicherer, um nicht abgelehnt zu werden. Sie sagt: "Nicht einmal jetzt könnte ich sagen, ob ich als eine offen lesbische Person in ein Forschungsfeld gehen würde." (ebd.:73)

 

Besonders in Gesellschaften mit einer tief verwurzelten Tradition der Homophobie führt die Furcht vor Diskriminierung zum Verbergen homosexueller Identität bei ForscherInnen und Beforschten. Derartige Bedingungen erschwerten Hallers Arbeit (1992) über Machismo und Homosexualität im andalusischen Sevilla. "Unter meinen Informanten gab es drei Paare von schwulen Brüdern, die nichts von der Homosexualität des anderen wußten." (ders. 1996:187) Anders als für heterosexuelle KollegInnen bleibt die öffentliche Sphäre durch das Verschweigenmüssen homosexueller Identität fremd. Die Erfahrung des Feldes aus einer homosexuellen Perspektive kann nur im Feldtagebuch besprochen werden. In dem Sinne ist nicht die andere Kultur fremd, sondern allgemein die heterosexuelle Welt (vgl. Willson 1995: 257).

 

Zu den wenigen Forschungsfeldern, in denen Homosexualität nicht stigmatisiert wird, zählen die schwule und lesbische Kultur und Gesellschaften, die bestimmte Formen homosexuellen Verhaltens traditionellerweise als integrierten Bestandteil ihrer Kultur verstehen. Bolton (1995:149) schreibt:

 

"In der Hierarchie der einzelnen Anteile meiner persönlichen Identität rangiert Schwulsein höher als ethnische Zugehörigkeit, Nationalität und Beruf. Und dieser Aspekt meines Seins drückt sich aus und wird zelebriert durch Sex. Ich könnte ganz gewiß nie wieder Feldforschung in einer Gesellschaft betreiben, in der ich einen grundlegenden Teil von mir verbergen müßte, um akzeptiert zu werden und erfolgreich arbeiten zu können und wo ich mich der Scheinheiligkeit ausliefern müßte, die Schwule und Lesben zur Genüge von zu Hause kennen".

 

Wie bei Blackwood und Haller erforderte meine Feldforschung, besonders während meines Aufenthaltes im katholischen Kloster, ein Identitätsmanagement, das ich von zu Hause gewohnt bin. In heteronormativen Gesellschaften unterliegen Schwule und Lesben der unhinterfragten "Annahme von Heterosexualität" (Blackwood 1995:56, 71). Was genau meint dieser Begriff bezogen auf meine Felderfahrungen in Maiori? Erstens nahmen andere in ihren Fragestellungen nach meinem Familienstand an, ich sei heterosexuell. Zweitens nahm ich Heterosexualität an, indem ich sie in diesen Situationen performierte. Aus Angst vor Stigmatisierung verschwieg ich meine Partnerschaft und verbarg mein Schwulsein. Ich ließ mich als "normale", heterosexuelle Person einordnen. Ich ging als heterosexuell durch. Damit untermauerte ich die Heteronormativität meiner Umgebung. Ich wehrte mich nicht dagegen, daß die Fragen von Antonello und Padre Luigi nach meinem Liiertsein stets heterosexuelle Bindungen implizierten. Ich unterstützte, daß meine maskuline Geschlechtsidentität mit heterosexuellem Begehren gleichgesetzt und Heterosexualität als normal vorausgesetzt wurde. Homosexuelles Begehren existierte nicht, weil ich es nicht benannte. Da Heterosexualität als Norm gilt, bedarf sie keiner weiteren Benennung. Sie wird als einzige denkbare sexuelle Identität und Form des Begehrens erwartet.

 

Unter "Annahme der Heterosexualität" muß sowohl der Heterosexismus im dominanten Diskurs über Verwandtschaft als auch das Identitätsmanagement von Lesben und Schwulen in der heteronormativen Gesellschaft aufgefaßt werden. Butler (1990) hat sich mit dem Konzept von Performanz in Bezug auf Geschlechtsidentität beschäftigt.

 

"Ihr Fazit ist, daß Menschen nicht per se von ihrer Geschlechtsidentität bestimmt sind, sondern im regulierten Wiederholungsprozeß zu bestimmten Geschlechtsidentitäten finden [...] Diesen Wiederholungsprozeß nennt Butler Performanz." (Dracklé 1998:114, vgl. Morris 1995).

 

Ich übertrage das Konzept von Performanz auf die Annahme von Heterosexualität. In Situationen der Gefahr unterstütze ich die Annahme anderer, indem ich Heterosexualität performiere. Das geschieht immer wieder, wie weitere Beispiele, die sich in meiner Interaktion mit der Gruppe der Gifra ereigneten, zeigen sollen.

 

Eines nachmittags will ich einen Besen holen, um mein Zimmer auszufegen. Ich schaue im Wörterbuch nach, was ausfegen heißt. Mit dem Wort gewappnet mache ich mich auf den Weg zu Francesca. Im Flur treffe ich auf Roberto und Carlo. Sie fragen mich, was ich vor hätte, woraufhin ich antworte: "Voglio scopare la mia camera." Sie lachen und Roberto gibt mir zu verstehen, daß es spazzare heißt. "Scopare é un‘ altra cosa". Das Verb scopare trägt auch erotische Konnotationen, was Roberto durch eine Geste für Geschlechtsverkehr untermalt. Später kommen die beiden mit anderen, denen sie von dem Vorfall erzählt haben, in mein Zimmer, um noch lange ihre Späße darüber zu machen. Ein anderes Mal nehmen Giorgio und Leonardo mich abends im Auto mit auf eine "moderne" Passeggiata. Wir biegen von der Via Nuova Chiunzi in eine dunkle Seitenstraße ein. An den Rand des Kastanienwaldes, so wird mir erklärt, stehlen sich die Jungs des Ortes hin, um in den Autos erste sexuelle Erfahrungen mit ihren Freundinnen zu machen. Im elterlichen Familienhaus bestehe diese Möglichkeit nicht. Wir passieren ein von innen beschlagenes Auto, indem angeblich einer ihrer Freunde gerade mit seiner Freundin verkehrt. Dann wieder suchen mich zwei junge Frauen, Ester und Angela, in meinem Zimmer auf. Ester möchte mich etwas Intimes fragen. Sie will wissen, ob ich liiert bin. Als ich verneine, glaubt sie mir einfach nicht. Auf der Lungomare versäume ich es nicht, mit Cristina oder Filomena Arm in Arm zu flanieren. Die anderen PassantInnen nehmen Notiz. Ihre Blicke geben mir das Gefühl, in diesem Moment verlobt zu sein.

 

In jedem dieser Beispiele falle ich wieder unter das heteronormative Verständnis von Sexualität, da ich nicht dagegen aufbegehre. Dabei bleiben Heterosexualität und Homosexualität wieder unbenannt. Heterosexualität wird normativ vorausgesetzt. Weil ich sie nicht widerlege, ist "meine" Heterosexualität bestätigt. Selbst als ich vor Ester und Angela heterosexuelles Liiertsein bestreite, bleibt die Vorstellung, eine alternative oder gar keine Beziehung zu haben, undenkbar.

 

Lesben und Schwule durchlaufen in heteronormativen Gesellschaften multiple sexuelle Identitäten. Gerade in der Feldsituation bewahrheitet sich, daß Identitäten nie stabil, neutral und undefiniert, sondern ständig bewegliche Kategorien sind (vgl. Blackwood 1995:70). Sexuelle Identität ist keine kohärente Haltung einer Person, sondern eine Reihe widersprüchlicher, variabler, situationsabhängiger Positionen, die sie einnimmt und in der Interaktion mit anderen ausagiert. Gerade die Feldsituation erfordert jedoch ein leidenschaftliches Selbstbekenntnis statt emotionaler Neutralität. Lesben und Schwule müssen ihre sexuelle Identität ständig vor wichtigen Anderen thematisieren, um nicht als heterosexuell angenommen zu werden. Burkhart (1996:44) behauptet zu Recht, daß die Offenbarung homosexueller Identität eine originellere und korrektere ethnologische Praxis und eine verantwortungsbewußtere Wissenschaft hervorbringt.

 

 

2.3. Out in the Field

 

Neben den Mönchen und den Gifra lerne ich über Christian besonders einen Freundeskreis Jugendlicher kennen. Guiseppe ist mit 24 Jahren der Älteste der Gruppe. Er arbeitet als Maler. Maria studiert Fremdsprachen in Neapel, wo sie die Woche über im StudentInnenwohnheim bleibt. Maria und Guiseppe sind ein Paar. Daniela jobbt als Babysitter in Amalfi und als Verkäuferin in Maiori. Vittorio absolviert eine Ausbildung als Friseur in Salerno. Daneben hilft er in einem Frisiersalon in Maiori aus. Wir treffen uns fast täglich im Kloster, von wo aus wir unsere gemeinsamen Unternehmungen starten. Abends verbringen wir die Zeit oft in der Brasserie in Maiori. Besonders hier war mir Vittorios effeminiertes Verhalten aufgefallen und nährte in mir eine Ahnung. Die Innenseite des Unterarms an die Brust gedrückt, die Hand nach außen, die Finger nach innen gebogen und den Nagel des kleinen Fingers zwischen den Zähnen, so sitzt er oft in Gedanken versunken mit uns am Tisch. Bei Bier und Obstsaft reden wir über Musik und Kino. Dann ertönt aus den Barlautsprechern ein Lied des schwulen Popstars Jimmy Sommerville. Auf meine Frage, ob er ihn kenne, antwortet Vittorio mit "Nein"!

 

In der zweiten Woche fahren wir in Guiseppes Auto nach Salerno in eine Bar namens Easy Rider. Im Laufe der spaßigen Unterhaltungen, ahmt Guiseppe Vittorios effeminierte Haltung nach. Zum ersten Mal erlebe ich, daß die Existenz von Homosexualität im Feld thematisiert wird. Ich starte einen neuen Versuch, Vittorio zu testen und frage in die Runde, wer liiert sei. Vittorio verneint meine Frage mit Unbehagen. Die anderen reagieren mit Ablenkungen auf die Situation. Schon auf der Hinfahrt im Auto hatten wir italienische Diskomusik von einer Kassette gehört, die Vittorio mitgebracht hatte. Jetzt auf der Heimfahrt spielt ein Lied, zu dem alle wild durcheinander reden und lachen. Christian erklärt mir, daß in dem Text Anspielungen auf Schwule gemacht werden. Als die anderen Christian und mich beim Kloster abgesetzt und verabschiedet haben, verweilen wir noch in der kühlen Märznacht. Christian sagt, es wäre unangebracht gewesen, Vittorio nach einer Geliebten zu fragen. Vittorio sei schwul, was alle im Freundeskreis wüßten und akzeptierten und worüber nur im Spaß gelacht würde. Christian legt mir darüber hinaus nahe, Vittorio nicht wissen zu lassen, daß er mir sein Geheimnis verraten hätte. Das sei Vittorios eigene Aufgabe.

 

Christians toleranter Umgang mit Vittorios Schwulsein ermutigt mich, ihm meine Homosexualität und Partnerschaft mit einem Mann zu gestehen. Er zeigt sich überrascht und gleichzeitig interessiert an meinen Erfahrungen. Sein Vater, ein Psychater, hätte ihm die Normalität von Homosexualität gelehrt und eine universelle Bisexualität aller Menschen vertreten. Christian sieht die christliche Kirche schuldig daran, das schon bei den Griechen bekannte und akzeptierte homosexuelle Verhalten verdrängt, kriminalisiert und bestraft zu haben. Er gibt zu, überrascht zu sein, weil er mich nicht für homosexuell gehalten hätte, entschuldigt sich damit, daß es für ihn nicht wichtig sei. Auf mein Fragen erinnert er sich nicht mehr an Vittorios Bekenntnis vor ihm. Christian betont, daß Homosexualität in Maiori nicht besprochen wird. Damit konfrontiert, lassen die Leute sie jedoch in Grenzen zu. Christian will mehr über meinen Freund in Deutschland wissen. Durch dieses Gespräch lernt er mich sehr viel näher kennen. So wie er mich nicht mehr als heterosexuell annimmt, so gebe ich ihm gegenüber keine Heterosexualität mehr vor.

 

An seinem freien Tag schneidet Vittorio einigen Jungfranziskanern im Kloster die Haare, bevor diese zu einem Fußballspiel nach Minori aufbrechen. Ich nutze die Gelegenheit, auch dranzukommen. Der Akt des Haareschneidens ist hoch erotisch. Das Freimachen des Oberkörpers, die nassen Haarspitzen auf Nacken und Rücken, die Berührung der Kopfhaut, der Ohren, die Nähe unserer Körper und die Konzentration. Vittorio ist sehr feinsinnig und bedacht, ein exzellenter Friseur. Während wir miteinander reden, besprechen wir unsere Homosexualität nicht. Dennoch spüren wir unsere Besonderheit. Wir merken uns Gesagtes, Gefragtes, fangen Blicke auf und nehmen Gesten wahr. Obwohl wir uns noch nicht einander geöffnet haben, wissen wir längst voneinander.

 

Am Abend befinden wir uns wieder in einer der lokalen Bars. Am Nachbartisch in mitten einer Karten spielenden Gruppe Jugendlicher fällt mir ein exaltierter, gutaussehender Mann auf. Vittorio bemerkt meine Fixierung und läßt mich seinen Namen wissen. Mario sei arrogant, fügt er hinzu. Am Tag darauf treffe ich Mario auf dem Corso. Zwar erkenne ich ihn sofort, wir grüßen uns, doch halte ich seinem forschen Blick nicht stand und schaue weg. Gestern, im Schutz meiner Gruppe, traute ich mich, auffällig hinzusehen. Doch jetzt, allein, fehlt mir der Mut, ihn anzusprechen. Wenig später, bei einer Passeggiata auf der Lungomare, erzähle ich Vittorio von meinem Zusammentreffen mit Mario. Ich will wenigstens unser Schweigen brechen. Deshalb behaupte ich, Mario sei gar nicht so arrogant, wie er behauptet hätte, denn er habe mich freundlichst gegrüßt. Vittorio antwortet, daß Mario sich ihm gegenüber stets herablassend verhalte. Während unserer Diskussion über Mario hakt Vittorio sich bei mir unter und schmiegt sich eng an meine Seite.

 

In der Mitte meines Feldaufenthaltes stellt Christian mir Anke und Stefano, ein deutsch-italienisches Paar, vor. Wir setzen uns in die Brasserie und unterhalten uns auf deutsch. Wir schließen sofort Freundschaft. Beide sind ungefähr so alt wie ich und wohnen in Erchie, einer Fraktion von Maiori. Im Frage-Antwort-Spiel oute ich mich unbefangen vor ihnen und erzähle offen von meinem Freund zu Hause. Vittorio stößt dazu und lauscht unserem Gespräch. Als er sich einschaltet und mich auf italienisch fragt, zu welches Fest ich im Anschluß an meinen Forschungsaufenthalt eingeladen wäre, antworte ich, zur Hochzeit eines Freundes meines Freundes. Die lockere Atmosphäre im Umgang zwischen Christian, Anke, Stefano und mir hatte mich redseelig gemacht. Es war gesagt. Vittorio schweigt, doch er berührt meine Hand und nickt fast unmerklich. Als wieder das Lied von Jimmy Sommerville aus den Barlautsprechern erklingt, erkennt er es. Von da an sind Vittorio und ich enge Verbündete.

 

Eine Woche vor meiner Abfahrt geschieht es, daß Christian und ich auf der Lungomare auf Mario und einen Freund, Giovanni, treffen. Mario spricht uns an. Sichtlich nervös, fragt er mich nach meinem Namen. Es wäre an der Zeit, ihn zu wissen, wo wir uns so oft schon begegnet seien. Er fragt nach meiner Herkunft, meinem Alter und was ich täte. Zum Schluß will er wissen, ob wir uns nicht mal auf ein Bier treffen könnten. Er gibt mir die Nummer seines Mobiltelefons, lehnt aber ab, die des Convento als Gegenleistung zu bekommen. Die da würden ihn hassen! Durch dieses Gespräch haben wir unser beider Schwulsein voreinander zugegeben. Am Abend rufe ich Mario an und wir verabreden einen Treffpunkt in Maiori. Mit seinem Auto fahren wir nach Amalfi in eine Bar neben den Duomo. Trotz meiner immer noch vorhandenen Sprachprobleme hilft die Wißbegierde unserer Verständigung. Ich erzähle von meinem Partner und meiner ethnologischen Feldforschung über soziale Räume der Kinder und über Homosexualität in Süditalien. Mario will nicht erforscht werden. Dennoch unterstützt er mein Interesse an ihm und dem Thema Homosexualität in Maiori. Wir reden über unsere Leben. Mario ist 25 Jahre alt. Er arbeitet zeitweise für einen regionalen Radiosender, will aber in der Zukunft einen Kurs als Stewart belegen. Zur Zeit jobbt er in einem Jeansladen in Maiori. Seine Eltern wissen von seinem Schwulsein. Der Vater ignoriert die Angelegenheit und die Mutter akzeptiert sie lediglich passiv. Mario bewohnt ein eigenes Zimmer in der Wohnung seiner Eltern. Als er davon schwärmt, sich in Rom seine Nase und die Wangenknochen operieren zu lassen, frage ich, wie er nicht zufrieden sein könne mit seinem Aussehen. Mein Unverständnis gegenüber Schönheitsoperationen kontert er mit noch mehr Enthusiasmus. Ich äußere mein Befremden über seine und Vittorios Effeminiertheit und über das Fehlen maskulinerer Schwuler in Maiori. Für Mario sind meine Vorstellungen ebenso befremdlich und merkwürdig. Er erzählt mir, wie Padre Luigi ihn einmal im Religionsunterricht als des Teufels beschimpft habe. Dabei hätte Mario sogar Kontakt zu einem Priester gehabt. Außerdem behauptet er, in der Kirche gäbe es viele Schwule. In Maiori schwul zu sein, das wäre nicht leicht. Der Tourismus lindere die Situation. Er mache sie gerade noch erträglich, denn die Touristen brächten Abwechslung und Abenteuer. Mario zeigt mir das Foto eines Ex-Freundes und zerreißt es vor meinen Augen. Wir tauschen unsere Adressen aus. Je länger wir sitzen, reden und trinken, desto öfter wiederholt Mario die auf tragische Weise inszenierte Frage, warum ausgerechnet ich schon fidanzato wäre. Er beichtet mir seine Verliebtheit in mich und zählt unsere sämtlichen Begegnungen auf. Mal hätte er mich verflucht, weil ich ohne zu grüßen an ihm vorbei gegangen wäre. Dann wieder wäre er überzeugt von meinem Schwulsein gewesen, nachdem ich ihn lange angesehen hätte. Heute hätte er sich dazu durchgerungen, sich das Spiel nicht mehr länger gefallen zu lassen. Obwohl ich mich darum mit ihm streite, bezahlt er am Ende für mich mit. Wir fahren zurück nach Maiori. In einem Anflug von Eifersucht und Camp meint Mario, als Tourist sei ich gefährdet so spät allein. Ich bräuchte seine Begleitung, denn Vittorio könnte irgendwo lauern. Zum Abschied steigt er vor dem Kloster aus dem Auto. Es ist nachts um 2.00 Uhr und wir kämpfen ein zweites Mal um die Zeche. Ich versuche, ihm doch noch Geld zuzuschieben. Er währt sich dagegen konsequent und mit Tiraden der Verachtung. Unsere Rangelei transferiert in eine Umarmung und in einen langen wilden Kuß genau vor dem Eingangstor. Für einen Moment bin ich hingerissen und überwältigt von der Vehemenz seiner Handlung. Erotisiert durch die Abstinenz im Feld, ergebe ich mich dem Geschehen. Doch nach kurzer Dauer bedeute ich mein Unbehagen. Ich werde abweisend. Mein Gewissen drängt mich vor meinem Partner und vor Mario, ehrlich zu sein. Mario muß akzeptieren, daß ich fidanzato bin. Ich entziehe mich seiner Umarmung. Mit hohem Tempo verschwindet er. Für eine gewisse Zeit stehe ich in der Nacht und versuche, mich zu sammeln. In meinem Zimmer angekommen, zeichne ich das Geschehene auf. Damals entschied ich mich, die Erfahrungen meiner erotischen Subjektivität als Forschungsdaten zu betrachten.

 

Am folgenden Mittag klingelt im Kloster das Telefon, während wir in der Küche essen. Wie immer hebt Padre Luigi ab. Am anderen Ende fragt Mario nach mir, ohne seinen Namen zu nennen. Wir sprechen nur kurz miteinander. Mario entschuldigt sich tausendfach. Wieder am Tisch will Padre Luigi wissen, wer das gewesen sei. Auf meine Antwort folgt bedrückendes Schweigen. Am späten Nachmittag rufe ich Mario zurück und wir verabreden uns auf der Lungomare zu einer Passeggiata. Als wir auf Vittorio treffen, der Arm in Arm mit einem Bekannten unterwegs ist, würdigen sich Mario und Vittorio keines Wortes. Vittorio fragt nur mich nach meinem Befinden. Vergebens bemühe ich mich, die beiden gleichzeitig in ein Gespräch einzubinden. Keiner zeigt sich hilfsbereit. Wieder zu zweit, versichert Mario mir, er wolle mich und meinen Partner als Paar kennenlernen. Wenig später erscheint Giovanni mit dem Auto. Mario küßt mich zum Abschied und fährt mit Giovanni davon.

 

Ich stürze mich in meine offizielle Arbeit, die mittlerweile sehr gut läuft. Darüber hinaus laden Mario und Giovanni mich auf eine Tour durchs schwule Salerno ein. Giovanni ist sehr ruhig und gleichzeitig ausgesprochen camp. Er erzählt mir, daß er für den bevorstehenden Sommer noch keinen Job gefunden hätte. Ich erfahre auch, daß er einen Freund hat, mit ihm jedoch nicht zusammenleben will. In Salerno zeigen sie mir Cruising Areas, Orte für unpersönlichen schwulen Sex. Wir fahren dazu an einer bestimmten Autobahnbrücke, an einer Piazza und an einem bestimmten Teil des Parkes vorbei. Wir besuchen mehrere Kneipen. Da es Samstagabend ist, sind die Straßen voll und die Bars überfüllt. In der dritten Bar nehme ich auch schwules Publikum wahr. Mario wird von zwei Ex-Kollegen aus dem Radiosender erkannt. Unsere Gespräche kreisen um Popkultur, Musik und Film, Lieblingsstars und um Männer. Meine Partnerschaftsbeziehung wird bewundert. Hier sei es schwierig, offen in einer schwulen Beziehung zu leben. Meine erneuten Versuche, Solidarität zwischen ihnen und Vittorio zu stiften, trifft wiederholt auf Abneigung. Mario und Giovanni bekunden lediglich ihre Antipathie Vittorio gegenüber. Ich plädiere weiter für den Zusammenhalt angesichts einer fehlenden Community und den Schwierigkeiten, in einer Partnerschaft zusammenzuleben.

 

Ein letzter Höhepunkt meines ersten Forschungsaufenthaltes wird der unvergeßliche Spaziergang, der alljährlich um Ostern stattfindet. Zusammen mit Christian, Guiseppe, Maria, Vittorio, Daniela und einigen anderen stieg ich damals auf den Monte Falenzio zur Kirche S. Maria dell’Avvocata. Folgender Eintrag findet sich dazu in meinem Tagebuch. "Wir verlassen Maiori und steigen Stufe um Stufe höher, vorbei an Zitronengärten und traditionell in den Hang gebauten Bauernhäusern. Dann durchqueren wir eine Zone mit Büschen und Gesträuch und noch weiter oben einen Gürtel aus Kastanienwald. Schließlich erreichen wir den Felsen, auf dem die Kirche steht. Oben ist Feststimmung. Die Scouts sind da, das Rote Kreuz und Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Alte. Es werden Feuer gemacht, man sonnt sich, es wird gepicknickt, Fußball oder Volleyball gespielt, die Kleinen rennen umher zwischen Eseln und Hunden. Jugendliche trommeln, Feuerwerkskörper werden gezündet und sogar eine Sonntagsmesse wird abgehalten, zu der sich die meisten im Innenhof der Kirchanlage versammeln. Die Lage ist zauberhaft. Man überblickt die gesamte Küste bis nach Amalfi. Ravello liegt über den Wolken und Tramonti verschwindet unter einem Nebel, der die Hänge heraufzieht und dem Szenario etwas Mystisches gibt. Christian, Guiseppe und ich, wir klettern noch höher bis wir vom absoluten Gipfel aus selbst die Kirche und die gesamte andere Seite der Küste überschauen. Dort liegen Erchie, Cetara und in der Ferne Salerno, der riesige Hafen, das weite Meer und die felsige Küste gen Sizilien. Wir sind überwältigt. Guiseppe schreit, dies sei alles seins. Aus heiterem Himmel macht er einen Witz übers Masturbieren, dann fängt er an, Blumen für Maria zu pflücken. Zurück bei den anderen spielen wir Volleyball und essen dann gemeinsam. Wir kosten von dem leckeren Wasser aus dem Felsbrunnen. Später sitze ich spontan mit Vittorio allein auf einem steil abfallenden Felsvorsprung und wir führen endlich unser schon lange überfälliges Gespräch über unsere Homosexualität. Vittorio warnt mich vor Mario. Ich antwortete, ich wüßte, mit ihm klarzukommen und hätte eine interessante Bekanntschaft mit ihm und Giovanni geschlossen. Vittorio sagt, ich sei sein erster schwuler Freund. Jemanden wie Mario zähle er nicht dazu und in seiner Familie wäre sein Schwulsein nicht akzeptiert. Seine Mutter lehne Homosexualität kategorisch als krankhaft ab und versuche sie durch Verschweigen wegzuheilen. Sein Vater rede nie darüber und zu seinem älteren Bruder hätte er jeglichen Kontakt verloren, obwohl er mit ihm ein Zimmer teile. Vittorio fühle sich als Frau, er verehre Frauen und liebe ihre Welt. Zu gerne wäre er als Tochter geboren worden. Meinen Einwand, seine normative Umwelt bringe diesen Wunsch in ihm hervor, verneint er. Er offenbart mir, daß er gern Christians Frau wäre. Die Möglichkeit einer Geschlechtsoperation habe er noch nicht in Erwägung gezogen, wohl aber den Weggang aus Maiori. Die Handhabbarkeit meines Konzeptes von zwei Männern, die einander lieben, bezweifelt er und vermutet, daß auch in meiner Partnerschaft eine weibliche und eine männliche Rolle vorhanden wären. Darüber hinaus glaubt er, Schwule stünden immer irgendwie in Rivalität zueinander, ganz so wie er, Mario und Giovanni. Er möchte als Schwuler kein Aufsehen erregen, sondern in Frieden als Frau eines Mannes leben dürfen. Vittorios Trost seien seine Freunde, besonders Maria und Guiseppe, die ihn akzeptieren würden, so wie er ist. Er empfinde große Angst, daß Thema Homosexualität mit anderen öffentlich zu besprechen. Er vermutet, die Leute würden ihn alle als krank einstufen, lächerlich machen und abwertend behandeln."

 

Wieder unten angelangt treffen Christian und ich nach dem Abendessen die anderen noch einmal in der Brasserie. Es kommt dazu, daß man mein Portemonnaie inspiziert. Als Guiseppe das Bild meines Partners darin bemerkt, nimmt er an, es sei mein Bruder. Ich kläre sie auf. Es sei mein Freund, wir wären ein Paar. Maria verstummt und dann nach einer Pause und etwas Schlucken lächelt sie "Va bene.", in Ordnung. Guiseppe schaut erschlagen drein. Ich gehe in die Offensive und erzähle, daß wir schon seit Jahren zusammen leben und daß ich ihn das nächste Mal mitbringen und vorstellen werde. Daniela hört, was ich sage und fragt: "Tu sei cosa io penso?" – Bist Du wirklich ...? Dabei fäßt sie sich ans rechte Ohrläppchen. "Ja!" Mit einem typischen "Beh!" ist kurz und undramatisch auch ihre Akzeptanz ausgedrückt. Dann folgt das übliche Barszenario. Leute gehen, andere Freunde gesellen sich zu uns an den Tisch und stellen Fragen, die mir klarmachen, wie schnell sich die Kunde meines Bekenntnisses verbreitet. Ich bestelle noch ein Bier und stehe Frage und Antwort. Am Ende erscheint Mario und will wissen, wie mein Tag war. Er begleitet mich nach Hause. Wir betrachten zusammen mit den anderen Passanten einen Kometen am Himmel.

 

Am Ende meines Aufenthaltes weiß der gesamte Freundeskreis von meinem Schwulsein. Im Kloster wird mir zu Ehren ein Abschiedsfest gegeben. Ich spendiere Torte und Getränke, man beschenkt mich reich. Zio Antonio weint. Ich werde umarmt und geküßt. Bei meiner Abschiednahme erfahre ich von Mario, daß er mit Vittorio gesprochen habe. Er wirft mir Küsse hinterher als ich gehe. Guiseppe fragt, ob ich tatsächlich Angst gehabt hätte, ihm früher zu sagen, daß ich schwul sei. Er weint. Daniela drückt mich lieb. "Ci vediamo!" - wir sehen uns wieder! Am frühen Morgen begleiten mich Christian und Padre Luigi bis zur Bushaltestelle vor dem Convento, dort, wo ich sechs Wochen zuvor angekommen war. Padre Luigi verabschiedet sich zurückhaltend und dennoch bestimmt und herzlich. Christian winkt mir nach. Ich lasse Maiori hinter mir.

 

In dieser dichten Beschreibung meiner Felderfahrungen in Maiori ist geschildert, wie nur die Überwindung der eigenen Angst von der Annahme der Heterosexualität wegführt. Das Bekennen meiner schwulen Identität verringert mein Gefühl der Fremdheit und die Distanz zu meinen InformantInnen. Das Selbstbekenntnis eröffnet mir Wege, Homosexualität als ethnologisches Forschungsthema zu betrachten. Die Auffassungen meiner Informanten über schwule Identität und Partnerschaft sind mir fremd. Für die Analyse der in den dichten Beschreibungen enthaltenen Daten über männliche Homosexualität in Maiori liefert das dritte Kapitel den theoretische Rahmen. Aus der Anthropologie der Homosexualität gewinne ich Thesen, mittels derer die Daten aus Maiori mit denen aus Neapel verglichen werden können. Ich kontrastiere die vorhandenen Konzepte von schwuler Identität und Partnerschaft in beiden Orten miteinander und untersuche das Vorhandensein einer schwulen Kultur auf dem Land und in der Stadt.

 

 

Teil II: Ethnologische Forschung über Homosexualität

 

"That famous battle from late June 1969 marks the Independence Day of gay and lesbian culture, celebrated each year by Gay and Lesbian Pride Day parades. The Stonewall ‚tea party‘ is now a living symbol of the ‚minority status‘ of gays and lesbians, commemorated in small towns and large cities across America. This new culture of gay men and lesbians is also represented by other increasingly visible national icons and symbols – the rainbow flag and banner, pink triangles and gay churches, the Quilt of the ‚Names Project‘, a burgeoing number of local lesbian and gay community organizations ..." (Herdt / Boxer 1993:5).

 

3. Anthropologie der Homosexualität

 

 

Weston (1993) bietet einen ausführlichen Überblick über schwullesbische Studien unter dem Dach der Anthropologie. Die Anthropologie der Homosexualität oder lesbisch-schwule Anthropologie beinhaltet zum einen ethnologische Studien über Homosexualität, zum anderen lesbische und schwule Perspektiven auf Gesellschaft und Kultur insgesamt (vgl. Wafer 1996:261). Der erste Forschungsbereich floriert seit der Emanzipationsbewegung von Lesben und Schwulen und seit der Übernahme des sozialkonstruktivistischen Ansatzes auf die Untersuchung von Homosexualität. Er beschäftigt sich mit dem Sammeln von Beweisdaten über geschichtliche und kulturelle Formen von Homosexualität und Gendervarianz in anderen Gesellschaften (vgl. Weston 1993:340f, Haller 1996:197). Der Kulturvergleich prägte das pluralistische Konzept von multiplen Homosexualitäten. Das zweite, erst entstehende Erkenntnisprojekt nimmt seinen Impuls aus der Stigmatisierungserfahrung von Lesben und Schwulen, transzendiert diese aber. Die sogenannten Queer Studies und Queer Theory visieren die Heteronormativität der sozialen Ordnung an und hinterfragen sie (vgl. Wafer 1996, Haller 1996). Im folgenden Abschnitt gebe ich einen geschichtlichen Abriß, in dem ich auf die grundlegende Bedeutung der Emanzipation von Lesben und Schwulen für die Thematisierung von Homosexualität als ethnologisches Forschungsthema hinweise.

 

 

3.1. Der Einfluß der Lesben- und Schwulenbewegung

 

Entsprechend der Behandlung von Homosexualität im dominanten Diskurs der westlichen Gesellschaft blieben die meisten ethnologischen Erwähnungen von homosexuellem Verhalten in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts verschleiert in Unklarheit und eingebettet in Vorurteilen (vgl. Weston 1993:339). Mit der Emanzipation von Lesben und Schwulen verminderten sich die Vorurteile der westlichen Gesellschaft Homosexuellen gegenüber. In den USA, wo sich seit der Stonewall Rebellion 1969 in New York eine starke Lesben- und Schwulenbewegung gebildet hatte, wurden lesbische und schwule Themen zuerst in der Anthropologie behandelt. Clark Taylor brachte auf der Jahrestagung der American Anthropological Association (AAA) im Herbst 1970 mit den Resolutionen 11 und 12 Homosexualität als offizielles Forschungsthema in die Anthropologie ein. Die Annahme der Resolutionen bescheinigte die Wichtigkeit und Legitimität der Untersuchung von Homosexualität durch die Anthropologie. Sie forderte das Ende einer Diskriminierung homosexueller ForscherInnen in den Reihen der AAA und die Anerkennung und Förderung ihrer Studien. Anthropologen wie David Sonenschein, Thomas K. Fitzgerald und J.M. Carrier begannen, theoretische Überlegungen und konkrete Feldforschungsdaten über Homosexualität zu publizieren.

 

"Entgegen der Kritik war Sonenschein der erste Anthropologe, der in den letzten Jahrzehnten seine KollegInnen aufrief, Homosexualität zu untersuchen." (Read 1980:189) "Sonenschein brach wie kein anderer vor ihm das Schweigen, indem er explizit für die Bedeutsamkeit eines ethnographischen Ansatzes zur Untersuchung von Homosexualität argumentierte." (Weston 1993:342)

 

Dennoch blieben die Forschungsbedingungen anfänglich schwer (vgl. Lewin / Leap 1996:vii). In seiner Einschätzung über die Folgen von Taylors Resolutionen meint Read, die erste Dekade habe keine wirkliche Akzeptanz gegenüber der Homosexualität als legitimes Forschungsthema gebracht. Die Doktrin kultureller und ethnischer Relativität in der Anthropologie des 20. Jahrhunderts hätte die Homosexualität ausgeschlossen (vgl. Read 1980:181-192). Über den großen Einsatz einzelner hinaus bedurfte es vorurteilsloser Theorien. Neue Gedanken aus Ethnologie, Psychiatrie, Geschichtswissenschaft und Soziologie trugen dazu bei, das Devianz Modell zu Gunsten einer konstruktivistischen Perspektive von Homosexualität abzulösen. Der nächste Abschnitt verdeutlicht, wie der konstruktivistische Ansatz an die Stelle des Devianz Modelles zur Erklärung von Homosexualität trat.

 

 

3.2. Vom Devianz Modell zur sozio-kulturellen Konstruktion von

Homosexualität

 

Der Ansatz der sozio-kulturellen Konstruiertheit wurde zuerst auf Geschlecht, (Davenport 1976) Sexualität (Padgug 1979) und Geschlechtsidentität (Ortner / Whitehead 1981) bezogen. Davenport (1976:161) erkannte bereits das biologische Geschlecht als kulturell überformt.

 

"Biologische Sexualität ist die notwendige Voraussetzung für menschliche Sexualität. Aber biologische Sexualität ist nur die Voraussetzung, ein Set von potentiellen Möglichkeiten, das stets durch kulturelle Realität vermittelt und in der menschlichen Gesellschaft qualitativ umtransformiert wird." (Padgug 1979:9 zitiert bei Bleys 1996: 6).

 

Es wurde gezeigt, daß Geschlecht, Sexualität und Geschlechtsidentität von jeder Gesellschaft kulturspezifische Bedeutungen zugeschrieben bekommen, die im Zusammenhang zur Gesamtstruktur der jeweiligen Gesellschaft stehen. Kulturspezifische Normen, Reglementierungen, Sanktionen und Tabus sind an kulturelle Mechanismen geknüpft, die das kulturspezifische Wertesystem einer Gesellschaft wiederspiegeln.

 

Für die Betrachtung von Homosexualität galt lange Zeit das Devianz Modell aus Psychologie und Soziologie. Es setzte Heterosexualität mit normalem sexuellen Verhalten gleich, während Homosexualität als deviant und abnorm definiert wurde. Nach dem Devianz Modell handelte es sich bei Homosexuellen um Personen, die ihre zugewiesene Geschlechterrolle nicht annehmen. Diese westlichen Werte oder "etischen" Kategorien wurden auch auf andere untersuchte Kulturen übertragen. Dabei übersah man, welche einheimischen Bedeutungen oder "emischen" Kategorien gleichgeschlechtliches Verhalten oder Gendervarianz dort tatsächlich trugen.

 

Das eurozentrische Devianz Modell wurde aus verschiedenen Wissenschaftsrichtungen abgelehnt. Bereits Benedict (1934) und Mead (1961) sahen Homosexualität als Herausforderung an die Gesellschaft und nicht als Problem einzelner abweichender Individuen an. Beide hatten in ihren Arbeiten die kulturelle Funktion homosexueller Rollen erwähnt und damit den Weg für die Erforschung des kulturellen Kontextes homosexuellen Verhaltens eröffnet (vgl. Blackwood 1986:4, Fitzgerald 1977:386-389). Evelyn Hooker, eine Psychiaterin, die ethnologische Methoden anwandte, behauptete in der Mitte der 1960er Jahre, daß psychologische Symptome das Ergebnis sozialer Stigmatisierung der Homosexualität wären und nicht die Ursache von "Abnormität" (vgl. Weston 1993:341, Fitzgerald 1977:393). Homosexualität wurde nicht mehr als Zustand individueller Pathologie, sondern als gesellschaftliches Konstrukt angesehen.

 

"Die Anerkennung für diesen Übergang vom psychologischen zum kulturellen Paradigma zur Erklärung von Homosexualität geht auf das Konto der sozialkonstruktivistischen Schule der 1970er, am prominentesten repräsentiert durch D’Emilio in der Geschichtswissenschaft und McIntosh und Weeks in der Soziologie. EthnologInnen verwendeten diese AutorInnen und das Werk von Foucault, um zu argumentieren, daß kulturspezifische Kontexte die Formen, Interpretationen und Möglichkeiten für homosexuelles Verhalten bedingen." (Weston 1993:341)

 

Obwohl Tripp bereits 1975 die Konstruktionen von Homo- und Heterosexualität im kulturellen Kontext untersucht und schon damals nach den Ursachen von Heteronormativität gefragt hatte, fanden seine Ideen wenig Anklang in der ethnologischen Genderforschung (vgl. Haller 1996:184). Erst 1990 zeigte der Historiker Katz anhand einer geschichtlichen und sozialkonstruktivistischen Analyse, wie Heterosexualität sich als normative Identitätskategorie seit dem späten 19. Jahrhundert in den USA entwickelt hat.

 

Besonders Feldforschung zeigt, wie kulturspezifisch der gesamte Bereich des Sexuellen definiert wird. So kann das gemeinsame Essen bestimmter Speisen sexuelle Bedeutung tragen (vgl. Beach 1976: 8, Davenport 1976), während das Miteinander Tanzen von Männern in der jemenitischen Kultur keineswegs als weiblich gilt (vgl. Roes 1996:386). Tripp (1975:49ff) berichtet von einer ganzen Reihe außereuropäischer Beispiele von Körperkontakt zwischen Männern, die von den Partizipierenden keineswegs als erotisch oder homosexuell angesehen werden. Gleich am Anfang meines Feldaufenthaltes fiel mir auf, wie zwei junge Männer Arm in Arm über eine Piazza gingen. Erstaunt machte ich eine Mitstudentin auf die Szene aufmerksam. Wir stimmten überein, daß ein derartiges Verhalten bei uns zu Hause ein Zeichen für Homosexualität gewesen wäre. Wie andere vor mir, erlernte auch ich die italienische Interpretation und die gezielte Anwendung dieser und anderer kultureller Praktiken. Hauschild (1985:250) schreibt:

 

"Ich mußte meine Hemmungen überwinden, mit Männern untergehakt gehen, um so Sympathie zu zeigen, oder jemanden einfach nicht grüßen, um meine Abneigung zu demonstrieren."

 

Bei der ersten Begegnung mit dem kulturell Fremden, vermochte ich es nur in ein Klischee aus meiner eigenen kulturspezifischen Konstruktion von schwuler Identität einzuordnen. Noch war mir die emische Bedeutung nicht bewußt. Doch schon bald bin ich nicht mehr vom öffentlichen Körperkontakt zwischen Männern überrascht, sondern übernehme dieses Verhalten. Ich drücke Padre Luigis Arm als ich ihm für seine Großzügigkeit danke. Außerdem finde ich es leicht, mit Vittorio Arm in Arm zu gehen. Die heterosexuelle Praktik half uns, unsere Freundschaft durch körperliche Nähe unsanktioniert in der Öffentlichkeit der Strandpromenade auszudrücken.

 

Es folgt die Erörterung einiger ethnologischer Studien, in denen der sozialkonstruktivistische Ansatz auf die interkulturelle Untersuchung von Homosexualität angewandt wurde. Dabei definiere ich den kulturkonstruktivistischen Ansatz genauer und zeige, wie seine Gültigkeit durch den interkulturellen Vergleich von Homosexualität bestätigt wurde.

 

 

3.3. Kulturkonstruktivistische Untersuchungen von Homosexualität

 

Die Übernahme des konstruktivistischen Ansatzes auf die ethnologische Untersuchung von Homosexualität führte weg vom individualistischen Ansatz hin zu Fragen nach der kulturspezifischen Strukturierung und Institutionalisierung von Homosexualität. Seit den 1970er Jahren beschäftigten sich amerikanische AnthropologInnen mit dem sozialen Milieu statt mit der Psychologie von Homosexuellen. Mit dem Aufkommen der urban anthropology und der Subkulturforschung untersuchten sie zuerst das alltägliche Leben männlicher Homosexueller in den subkulturellen Einrichtungen amerikanischer Metropolen. Zu den ersten von AnthropologInnen geschriebenen Büchern über die Community der späten 1960er und frühen 1970er Jahre zählen Humphreys (1970), Newton (1972), Warren (1974) und Read (1980). In diesen ethnologischen Studien ging es um das Kennenlernen von verschlossenen Welten und geheimen Gesellschaften. Sexuelle Identität regelte den Eintritt in die Gemeinschaft der Homosexuellen. Humphreys (1970) übernahm zum Beispiel die Rolle der "watchqueen", des voyeuristischen Aufpassers, in öffentlichen Toiletten (Smith / Kornblum 1989:133).

 

In den 1980er Jahren entstanden zahlreiche Untersuchungen zum Thema Homosexualität, die auf ethnologische Feldforschungen in verschiedenen Kulturen basierten (Blackwood et.al. 1986). Daten über rituelle Homosexualitäten (Herdt 1981, 1984, Gray 1986) und alternative Geschlechterrollen (Williams 1986, Nanda 1986, Herdt 1994) wurden vorgestellt. Von der Mainstream-Ethnologie oft ignoriert (vgl. Roscoe 1995), wurden alternative Geschlechterrollen bei vielen nicht-westlichen Völkern gefunden. Die indianischen "Berdache" oder two-spirited people Nordamerikas sind das bekannteste Beispiel (vgl. Lautmann 1993:304, Murray / Roscoe 1997:3). Ich möchte an dieser Stelle zwei Veröffentlichungen von Herdt über rituelle Homosexualität in Melanesien näher erläutern, um die praktische Anwendung des kulturkonstruktivistischen Ansatzes zu verdeutlichen.

 

Herdt (1981) untersuchte institutionalisiertes homosexuelles Verhalten bei den Sambia auf Papua NeuGuinea. Darüber hinaus gewann er weitere Ethnologen dafür, auch ihre Daten über rituelle Homosexualität in Melanesien zu veröffentlichen (Herdt et.al. 1984). Die Zusammenarbeit erbrachte eine umfassende Beschreibung des melanesischen Modelles in seinem einheimischen kulturellen Kontext. In einer emischen Analyse wurde die institutionalisierte Homosexualität als Set sozialer Beziehungen oder als System kultureller Faktoren begriffen, das ausgehend von einem kulturspezifischen Repertoire an Bedeutungen und Verständnissen konstruiert wird. Herdt (1981) beschrieb die sexuelle Ideologie der Sambia in Kürze wie folgt. Damit sie zu Männern heranwachsen, so der kollektive Glaube, müssen die Jungen von ihren Müttern getrennt werden und durch rituelle Fellatio Kraft und Maskulinität übermittelt bekommen. Männlichkeit wird von Generation zu Generation reproduziert, indem die spirituelle Essenz eines Vorfahrens in der Form der Samenflüssigkeit auf einen Lebenden übertragen wird. Mädchen besitzen im Glauben der Sambia Fortpflanzungskompetenz und Weiblichkeit auf natürliche Weise und brauchen deshalb kein analoges Ritual.

 

Herdt (1984:ix) betont die Unterschiede zwischen der westlichen und der melanesischen rituellen Homosexualität. In Melanesien wird institutionalisiertes homosexuelles Verhalten nicht als deviant verstanden. Gleichgeschlechtliche Erotik und Bindungen resultieren aus bestimmten Kombinationen grundlegender Kategorien, wie Alter, Geschlecht und Verwandtschaft. Die von der Gesellschaft vorgeschriebenen homosexuellen Kontakte erscheinen innerhalb des symbolischen Gerüstes als natürlich, normal und notwendig. Dabei werden nur männlichen Individuen unterschiedlichen Alters homosexuelle Kontakte erlaubt. Der Ältere ist stets der aktive Partner. Gendervarianz ist aus Melanesien nicht bekannt. Die Identitäts-Kategorie "schwul" kann auf die melanesischen Kulturen nicht projeziert und übertragen werden. "In Melanesien greift unsere westliche Definition nicht; Jungen und Männer, die in Ritualen homosexuell handeln sind keine Homosexuellen. Das Konzept, "schwul" zu sein, ist ihnen fremd." (ebd.:x)

 

Die ethnologischen Studien der 1980er Jahre bestätigten die Gültigkeit des kulturkonstruktivistischen Ansatzes. Homosexuelles Verhalten in nicht-westlichen Kulturen ist von den Prinzipien des sozio-kulturellen Kontextes abhängig. Dieser bestimmt die Bedeutungen und Bewertungen homosexueller Handlungen. Die verschiedenen Muster homosexuellen Verhaltens spiegeln das jeweilige Wertesystem und die jeweilige Sozialstruktur einer Gesellschaft wieder (vgl. Herdt 1984). Sie werden von der jeweiligen sexuellen Ideologie, vom ökonomischen Kontext, vom Verwandtschafts- und Familiensystem und von nationalen und internationalen Systemen strukturiert (vgl. Blackwood 1986:5).

 

Im folgenden Abschnitt zeige ich, welches Konzept von Homosexualität sich im Kontext der westlichen Kultur und ihrer sexuellen Ideologie entwickelt hat. Dabei gehe ich auf das neue lesbische und schwule Identitätsmodell, auf das Konzept der egalitären homosexuellen Beziehung und Partnerschaft und auf das Phänomen der schwul-lesbischen Kultur ein. Hierin definiere ich gleichzeitig mein eigenes Verständnis von schwuler Identität und Partnerschaft. Ich positioniere mich selbst und nehme meine Position als eine unter vielen, möglichen wahr.

 

3.4. Das westliche Konzept von Homosexualität

 

Die westliche sexuelle Ideologie basiert erstens auf Zweigeschlechtlichkeit. Dabei wurde nicht erst seit Butler (1990) kritisiert, daß die Geschlechterkategorien "Mann" und "Frau" nicht Ursprung, sondern Effekte von Institutionen, Verfahrensweisen und Diskursen sind.

 

"Nicht die biologischen, psychologischen und sozialen Unterschiede führen dazu, daß wir zwei Geschlechter unterscheiden. Unsere Unterscheidung zweier Geschlechter voneinander führt zur ‚Entdeckung‘ biologischer, psychologischer und sozialer Unterschiede." (Kessler / McKenna 1977 zitiert bei Cesara 1982: 210)

 

Für alternative Geschlechterrolen gibt es in der westlichen Geschlechterideologie keinen Platz. Sie wären eine Bedrohung für das duale Geschlechtersystem und würden die Geschlechterdifferenz, die Definitionen von Weiblichkeit und Männlichkeit, durcheinander bringen. Die Kulturspezifik der westlichen Sichtweise belegt Amadiume (1987) an Hand einer Studie über die Igbo-Frauen Ostnigerias. Während das westliche Geschlechtersystem, gepaart mit der christlichen Religion, rigide sei, hätten die Igbo in vorkolonialer Zeit ein flexibles Geschlechtersystem besessen. Geschlechtsidentität mußte darin nicht mit dem biologischen Geschlecht korrespondieren. Die flexiblen Konstrukte der Igbo sahen Geschlecht und Geschlechtsidentität voneinander losgelöst, so daß Frauen, ohne vermännlicht zu werden und ohne dabei der Gefahr der Stigmatisierung ausgesetzt zu sein, Macht und Autorität erlangen konnten. Die Gründe hierfür lagen in der traditionellen kulturellen und sprachlichen Fexibilität der Gender-Konstrukte (vgl. ebd.:15, 17, 185).

 

Zweitens ist die westliche sexuelle Ideologie heteronormativ. Sie schreibt Heterosexualität vor. Rich (1980) sprach von der "Zwangsheterosexualität" und Herdt und Boxer (1993:2) nennen sie die "Ideologie der Reproduktion". In der heteronormativen Sichtweise wird die Geschlechtsidentität einer Person mit ihrem oder seinem biologischen Geschlecht gleichgesetzt. Sexuelles Begehren wird als auf das andere Geschlecht ausgerichtet vorausgesetzt. Gleichgeschlechtliches Begehren widerspricht der westlichen sexuellen Ideologie und wird sanktioniert und stigmatisiert.

 

Drei Merkmale des westlichen Konzeptes von Homosexualität sind besonders hervorzuheben. Erstens hat sich unter der westlichen sexuellen Ideologie im Kontext von Urbanisierung und Industrialisierung Homosexualität als eine Form sexueller Identität entwickelt. Bei der lesbischen und schwulen Identität handelt es sich um die Selbst- und Fremdidentifikation von Personen nach ihrem sexuellen Begehren. Dasselbe gilt auch für heterosexuelle Identität.

 

"Heute", meint Herdt (1997:14), "sind die allgemeinen Begriffe homosexuell/heterosexuell und schwul/lesbisch/straight implizite Kennzeichen biologischer Angeborenheit, exklusiven sexuellen Verhaltens, lebenslangen Festhaltens an einer Geschlechtsidentität und der Selbstidentifikation mit einer sozialen Kategorie. Außerhalb der westlichen Tradition sind diese Bedeutungen der Begriffe schwer nachweisbar."

 

Wie ich im vorherigen Abschnitt am melanesischen Beispiel gezeigt habe, konnte homosexuelles Verhalten durch ethnologische Untersuchungen in vielen Kulturen als sexuelle Variante nachgewiesen werden. Für die Selbst- und Fremdidentifikation von Personen nach ihrem sexuellen Begehren gelang dies jedoch nicht.

 

Zweitens entstand seit Beginn des 20.Jahrhunderts und besonders nach dem zweiten Weltkrieg die neue, egalitäre Form der Homosexualität. Egalitäre Homosexualität ist die Beziehung zwischen zwei Personen mit der gleichen Geschlechtsidentität. Beide Partner oder Partnerinnen identifizieren sich als schwul oder lesbisch (vgl. Murray / Roscoe 1997:4f). Diese spezifisch westliche Form homosexueller Partnerschaft entspricht der meinen. Sie steht besonders altersstrukturierten (Melanesien) oder Gender-definierten (Vittorios Vorstellung) Formen gegenüber.

 

Das dritte Merkmal westlicher Homosexualität ist das Phänomen der schwul-lesbischen Kultur, die jungen Lesben und Schwulen die Möglichkeit bietet, ihre homosexuelle Identität offen zu bekennen und in der Community, der Gruppe der Lesben und Schwulen, Solidarität zu erfahren (vgl. Herdt / Boxer 1993). Während homosexuelles Verhalten in anderen Kulturen integriert ist, schaffen sich unter der westlichen sexuellen Ideologie nach ihren sexuellen Präferenzen selbst- und fremdidentifizierte Personen isolierte Subkulturen (vgl. Blackwood 1986).

 

Abschließend möchte ich darauf hinweisen, daß die schwul-lesbische Emanzipationsbewegung der 70er und 80er Jahre in den 90er Jahren weitergedacht wurde. Die Queer Studies richten sich gegen universalistische Ansprüche einer monolithischen Schwulen- und Lesbenbewegung.

 

"Fokus von Ansätzen der Queer Theory sind nicht mehr der moderne Homosexuelle, seine soziale Position und seine Genese, sondern vielmehr Heterosexualität sowie die Entstehungsbedingungen, die Ausgestaltung und Wirkungsweise der hetero/homo-Binarität als einem Prinzip kultureller, sozialer und politischer Organisation." (Haller 1996:191).

 

So wie Butlers Postfeminismus (1990) die Essentialisierung der Geschlechterdichotomie der frühen Frauenbewegung ablehnt, so lehnt die Queer Theory die Essentialisierung der Hetero/Homo-Dichotomie der Homosexuellenbewegung ab. Die Queer Politics stehen für ein Wieder-Aufbrechen der Kategorien "homosexuell", "lesbisch" und "schwul" und gegen das Bild einer homogenen, subkulturellen Gruppe. Die schwul-lesbische Identität erscheint als nicht länger flexibel genug, der heutigen Kulturpolitik der Differenz zu entsprechen. Die ‚queer‘ Identität dagegen schließt unterschiedliche Modelle ein, die mit der vielfältigen Realität multipler Altersgruppen und ethnischer Herkunft korrespondieren (vgl. Bleys 1996:7). Sie bezieht die Unterschiede je nach Klasse, Ethnie, Generation, Geographie und Soziopolitik innerhalb der schwul-lesbischen Community mit ein (vgl. ebd.:8).

 

Der Kulturvergleich und die Entdeckung der Kulturspezifik des westlichen Konzeptes von Homosexualität bewirkte ein Verständnis von multiplen Homosexualitäten. Zwar wird unter der kulturkonstruktivistischen Perspektive "das Etikett der Homosexualität unerhört weit gedehnt" (Lautmann 1993:304). Dennoch versucht man, mit transkulturellen Typologien westliche und nicht-westliche Homosexualitäten in ein pluralistisches Konzept aufzunehmen. Im folgenden Abschnitt stelle ich drei Typologien vor. Darin findet sich das Gender-definierte Homosexualitätskonzept, das den Vorstellungen meiner schwulen Informanten aus Maiori entspricht, wieder.

 

 

3.5. Das pluralistische Konzept der Homosexualitäten

 

Der interkulturelle Vergleich von Homosexualität verdeutlicht die Vielfalt der sozialen Konstruktionen homosexueller Erfahrung in unterschiedlichen kulturellen Kontexten. Kulturrelativisten versuchen, den kulturkonstruktivistischen Ansatz in eine Theorie der Homosexualitäten auszuweiten (Greenberg 1988, Trumbach 1989, Herdt 1997). Ihre transkulturellen Typologien von Homosexualitäten sollen historisch und kulturell unterschiedliche Formen homosexuellen Verhaltens und homosexueller Identität in einem Klassifikationssystem fassen. Trumbach (1989:149) favorisiert die weltweite Unterscheidung zwischen Gesellschaften, die homosexuelles Verhalten nach Altersunterschieden organisieren und solche, die eine Transvestitenrolle für erwachsene Männer bereitstellen. Die Transvestitenrolle macht aus Männern, die Sex mit anderen Männern haben, effeminierte Mitglieder eines dritten oder intermediären Geschlechtes (vgl. ebd.:153, Herdt 1994). Trumbach ist der Auffassung, daß der moderne westliche Homosexuelle aus der Sodomiten- (vor 1700) und Transvestitenrolle (nach 1700) entstanden sei (vgl. ebd.). Greenberg (1988, vgl. Weston 1993:343) unterscheidet "transgenerationale", "transgender" und "egalitäre Homosexualitäten". Entweder sind die Partner unterschiedlich alt und teilen sich die sexuellen Akte auf, wobei der ältere der aktive Partner ist (transgenerational). Oder es handelt sich um Formen alternativer Geschlechtsrollen (transgender). Die egalitäre Homosexualität wird drittens durch schwule oder lesbische Partnerschaften mit Reziprozität der Geschlechtsakte und ohne Genderunterschiede definiert. Herdt (1997:23) verwendet schließlich eine Typologie mit fünf Formen gleichgeschlechtlicher Beziehungen: 1.) altersstrukturierte Formen, 2.) die Geschlechtsidentität transformierende homoerotische Rollen, die einer Person erlauben, die Geschlechtsidentität des anderen Geschlechtes zu übernehmen, 3.) soziale Rollen, die den Ausdruck von gleichgeschlechtlichen Beziehungen innerhalb einer bestimmten gesellschaftlichen Nische erlauben oder erfordern, 4.) westliche Homosexualität als Form der sexuellen Identität des 19.Jahrhunderts und 5.) westliche egalitäre Beziehungen des späten 20.Jahrhunderts zwischen Personen mit gleicher Geschlechtsidentität, die sich lebenslang selbstbewußt als schwul oder lesbisch identifizieren.

 

Diese Grundkategorien sind die Verständnisse von Homosexualität verschiedener Kulturen und unterschiedlicher Individuen. Es handelt sich um kulturelle Konstrukte und individuelle Lebensentwürfe, die unterschiedliche Identitäten, Gefühle und Erotik beinhalten (vgl. Herdt 1991). Während ich unter Homosexualität das egalitäre Modell verstehe, tendieren die Vorstellungen meiner schwulen Informanten aus Maiori zum Gender-definierten Modell.

 

Im folgenden Abschnitt richte ich mein Interesse auf die zeitgenössische Ausbreitung des westlichen Konzeptes von Homosexualität.

 

 

 

3.6. Wandel und Koexistenz

 

Der Tourismus, die Medien, die neuen Kommunikationstechnologien und nicht zuletzt die Gefahr durch AIDS/HIV tragen dazu bei, daß die Symbole und die Identitätskategorien der schwul-lesbischen Kultur global verbreitet werden (vgl. Herdt 1997:151). Führt die Ausbreitung des westlichen Homosexualitätsmodelles zum Prozeß globaler Homogenisierung? Verdrängt die "globale lesbisch-schwule Kultur" (Herdt 1997:xv) die traditionellen Homosexualitäten? Oder bleibt die kulturelle Vielfalt bestehen? Zunächst sollen Beispiele der Auswirkungen auf rituelle Homosexualität und traditionelle Geschlechterrollen herangezogen werden.

 

Herdt (1991:487) schreibt: " [...] der Berdache und die melanesischen Formen sind mittlerweile historisch tot oder am Sterben ...". Nach Herdt (1984) haben Pazifizierung und Kolonialisierung die melanesischen Kulturen mittlerweile stark verändert und mit ihnen den uralten Ritualkomplex, der die Formen ritueller Homosexualität hervorgebracht hat (vgl. ebd.:xv). Missionare und Regierungen eliminieren die traditionellen Formen von Homosexualität. Wie Herdt (1984:xvi) über seinen Sammelband berichtet, konnten mehrere Ethnographen ihre Daten aus politischen Gründen nicht beisteuern. Sie fürchteten, die Veröffentlichung ihres Materials über Homosexualität würde ihnen von den Dorfbewohnern, bei denen sie geforscht hatten, übelgenommen werden. Ein sensibler Punkt, der in der heutigen postkolonialen Welt nicht unterschätzt werden darf. Historische und materielle Veränderungen der Gesellschaften zerstören ebenso die Bedingungen für die soziale Rekrutierung von Berdache.

 

"An manchen Orten überleben einige selbstbenannte Berdache [...] Der historische Wandel in ihren Gesellschaften bedeutet jedoch, daß ihre traditionelle Rolle verschwindet und neue Bedeutungen, nämlich die Kategorien "schwul/lesbisch", an ihre Stelle treten. Damit verändern sich das Selbstverständnis der Berdache und die kulturellen Vorstellungen über sie sehr stark." (Herdt 1991:489)

 

Nanda (1986) zeigt, wie sich in Indien die Identitätskategorie "homosexuell" mit der traditionellen dritten Geschlechterrolle der Hijras vermischt. Bei ihrer Untersuchung stieß sie auf Oppositionen zwischen idealen und realen Aspekten dieser institutionalisierten Rolle. Das ideale Bild der Hijras in Nord-Indien hat nichts mit Homosexualität zu tun. Hijras gelten als für die Göttin Bahuchara Mata rituell entmannte, asexuelle Eunuchen oder Hermaphroditen. Traditionell erbitten die Hijras Almosen oder treten als Sängerinnen und Tänzerinnen bei Hochzeiten und Geburtsfeiern auf. Bei einer Geburt bestimmen sie feierlich das Geschlecht von Neugeborenen. Nach hinduistischem Glauben steht es in ihrer Macht, männliche Babies zu verfluchen oder zu segnen. Sieben "Häuser" oder Untergruppen mit je einem guru oder Führer bilden die Hijra-Gemeinschaft. Sie setzt sich aus allen Kasten und Religionen zusammen. Zur Initiation wird der chela, der Jünger, zum guru gebracht, bekommt von ihm einen weiblichen Namen und bleibt ihm lebenslang verbunden. Hijras leben in fiktiver Verwandtschaft in lokalen Gemeinschaften von 5-15 Mitgliederinnen mit einem Guru. Die Verwestlichung der indischen Kultur stellt die rituelle Notwendigkeit der Hijras in Frage. Nandas empirische Daten beweisen, daß die kulturelle Definition der Hijra-Geschlechterrolle dem realen, individuellen Verhalten von Hijras widerspricht. Da die Hijras männliche und weibliche Elemente in ihren Namen, in ihrer Kleidung und Haartracht, im Benehmen und in der Art wie sie sprechen vereinen, verleiht ihre institutionalisierte Rolle ansonsten verpöhntem, geschlechtsunüblichen Verhalten eine religiöse Bedeutung. Wie Nanda herausfand, verdienen sie ihr Geld auch mit Prostitution. Sie haben "Ehemänner", von denen sie unterstützt werden oder ein eigenes Einkommen, zum Beispiel, aus Badehäusern. Viele Hijras praktizieren homosexuelles Verhalten. Zwar kollidiert Homosexualität mit der Rollendefinition und führt zu persönlichen Konflikten und Mechanismen der sozialen Kontrolle innerhalb der Gruppe. Dennoch bleibt die Hijra-Rolle wegen ihrer Kommunalität im Gegensatz zur Isolation des einzelnen für homosexuell Interessierte von Vorteil. Daraus läßt sich schlußfolgern, daß sich der asketisch-religiöse Anspruch der Hijra-Rolle mit homosexueller Identitätsbildung verbindet, nicht aber mit dem Konzept westlicher Homosexualität gleichgesetzt werden kann.

 

Die Ausbreitung westlicher schwul-lesbischer Identitätskonzepte und egalitärer Vorstellungen von Homosexualität verläuft nicht geradlinig. Zwar etabliert sich besonders in urbanen Zentren unter jüngeren Angehörigen der gebildeten Mittelschicht das Konstrukt des selbstbewußten Schwulen (vgl. Haller 1995:95). Dieser sieht sich als Mann mit einer maskulinen Geschlechtsidentität und differenziert sich vom effeminierten Homosexuellen. Er übernimmt auch den westlichen Begriff "schwul" zur Selbstidentifizierung. Dennoch vermögen die maskuline schwule Identität und die egalitäre Homosexualität nicht, das wiederkehrende Bild des heterosexuellen Mannes und der weibischen Tunte zu verdrängen. Dieses "mythische Beziehungspaar", so Haller (1995:92), sei bislang in der ethnologischen Literatur vor allem im Kontext des Islam bzw. Lateinamerika aufgetaucht. Murray (1995) zeigt am Beispiel von Lateinamerika, wie bedingt die Transformation von der Gender-definierten zur egalitären Organisation männlicher Homosexualität funktioniert. Der schwulen Selbstidentifikation und der Bildung einer schwulen Community stellen sich die Zentralität der Familie und die Ideologie des Machismo, dem Kult der Männlichkeit, entgegen. Erst das Ausziehen aus dem Familienhaus, für viele ökonomisch nicht zu bewerkstelligen, ermöglicht das Ausleben von Homosexualität. Das Zusammenziehen von gleichgeschlechtlichen Paaren und die Entstehung schwuler Viertel gestalten sich genauso schwierig wie die Gründung schwuler Institutionen.

 

Auch für den Mittelmeerraum attestiert Murray (1995:11) der Rolle des passivo, des Schwulen, der eine effeminierte Geschlechtsidentität annimmt, prototypische Breite. In gleichgeschlechtlichen Beziehungen trennt die Geschlechtsidentität den maskulinen aktiven vom effeminierten passiven Partner. Im Bereich homosexueller Praktiken penetriert der Mann den passivo. Dracklé (1998:117) bestätigt für eine ländliche Gegend in Südportugal das Verpöhntsein gleichgeschlechtlicher sexueller Beziehungen. Diese werden "als der Männlichkeit entgegengesetzt betrachtet. Offen gelebte homosexuelle oder bisexuelle Beziehungen sind undenkbar." (ebd.) Besonders effeminierte Homosexuelle werden stigmatisiert. Nach der geläufigen Vorstellung verliert ein Mann, der die weiblich-passive Rolle beim Geschlechtsverkehr übernimmt, damit seine Männlichkeit. "Gerade die Übernahme der passiven, weiblichen Rolle ist es, der die strenge Verachtung von Homosexuellen gilt." (ebd.) Dracklé berichtet von gewalttätigen Geschichten, "in denen der unfreiwillige Ausschluß aus dem Ort berichtet wurde, der Ausschluß von Männern, die als passivos galten." (ebd.:118)

 

Murray und Roscoe (1997) vertreten schließlich die These, daß verschiedene Formen schwuler Identität und schwuler Beziehungen unter den Konzepten von Homosexualität nebeneinander koexistieren. Sie formulieren:

 

"Männer mögen die neue Terminologie und Selbstkonzeption einer schwulen Identität unter dem Einfluß westlicher Vorbilder adoptieren, dennoch behalten sie innerhalb ihrer Partnerschaften traditionelle Unterscheidungen nach älter/jünger, aktiv/passiv und sogar maskulin/nicht maskulin bei.". Die verschiedenen traditionellen Konzepte koexistieren mit der neuen egalitären Homosexualität. "Individuen identifizieren sich zunächst als Homosexuelle und dann als ‚tops‘ oder ‚bottoms‘ (Nord Amerika, Europa) oder ‚queens‘ oder ‚kings‘ (Thailand). Darüberhinaus ist ein großer Teil homosexuellen Verhaltens in westlichen Gesellschaften von Identität losgelöst. Ungeoutete Männer, die anonymen Sex mit anderen Männern praktizieren, genauso wie identitätslose ‚Queers‘, die sexuelle ‚Fluidität‘ zelebrieren, lehnen das schwule Label und die schwule Identität ab. Was als ‚vor-moderne‘, ‚moderne‘ und ‚post-moderne‘ Homosexualitäten benannt werden könnte, koexistiert in Wirklichkeit nebeneinander, sowohl in zeitgenössischen westlichen als auch nicht-westlichen Kulturen." (ebd.:313)

 

Aus dieser Betrachtung ethnologischer Studien über Homosexualität entnehme ich erstens die unterschiedlichen Konzepte der maskulinen und der effeminierten schwulen Identität und zweitens die der egalitären und der Gender-definierten schwulen Beziehung für die weitere Beschreibung meiner Daten. Ich schlußfolgere weiterhin, daß es trotz der Globalisierung des westlichen Konzeptes von Homosexualität keine Homogenisierung gibt. Die Performanz von Effeminiertheit oder Maskulinität als Markierungen schwuler Identitäten koexistieren im Repertoire männlicher Homosexualität.

 

 

4. Männliche Homosexualität in Maiori und Neapel

 

Als Teil der westlichen Kultur gilt für Italien die westliche sexuelle Ideologie. Besonders der Süden ist Homosexuellen gegenüber intolerant. Der internationale, schwullesbische Reiseführer Spartacus (Rauch et.al. 1998:554) trennt die italienische schwule Kultur in zwei räumliche Typen. Während in den norditalienischen Großstädten Homosexualität wie in Nordeuropa sichtbar sei, wäre der Typus in Süditalien ein Südeuropäischer oder Mediterraner. Das hieße im einzelnen kein Vorhandensein spezifisch schwuler Orte und weniger Toleranz, trotz der gegenseitigen Bekundung von Affektion zwischen heterosexuellen Männern. Zwar gäbe es seit 1889 keine Gesetze mehr, die Homosexualität verbieten, doch die ItalienerInnen seien schroff im Umgang mit offen zur Schau getragenem homosexuellen Verhalten. Ich werde diese Einteilung an meinen Daten aus Maiori und Neapel überprüfen. Ich vermute, daß die Trennung weniger zwischen Nord- und Süditalien, sondern mehr zwischen Stadt und Land verläuft.

 

 

4.1. Homosexuelle und Kirche

 

Die Verachtung von Sodomie und später Homosexualität als Sünde durch die römisch-katholische Kirche hat eine lange Tradition (vgl. Rocke 1989). Dennoch sind die schwulen Maioresi gläubige Katholiken. Während einer Autofahrt zum Bowling nach Pontecagnano diskutiere ich mit Vittorio über Religiosität. Ich frage ihn, was er als Schwuler davon hält, daß der Papst noch immer Beziehungen "wider der Natur" als sündhaft erklärt. Vittorio antwortet, er sei zwar religiös, trenne aber seinen individuellen Glauben an Gott von der Kirche als Institution, die Schwulsein verbietet. Als wir an einer Madonnenstatue und am Friedhof vorbeifahren, bekreuzigt er sich jedesmal. Er betont seinen Glauben an Jesus und ist höchstens verwundert über meinen Atheismus.

 

Wie Vittorio mir berichtet, schweigt Padre Luigi vehement zum Thema Homosexualität. Trotz seiner Funktion als Vorsteher der Gifra, als ihr geistiger Vater, habe er derartige Probleme mit den Jugendlichen noch nie besprochen. Darüber hinaus sei er in der letzten Zeit auffallend kühl ihm gegenüber. Vittorio befürchtet, seine Mutter hätte mit Padre Luigi über sein Verhalten gesprochen. Vittorio, Guiseppe und Maria appellieren an mich, nicht mit Padre Luigi über Homosexualität zu reden. Alle drei sind davon überzeugt, daß es den Abbruch seiner Beziehung zu mir heraufbeschwören würde. Die Erforschung eines stigmatisierten Gegenstandes erschwert mir den Zugang zu religiösen Kontaktpersonen im Feld. Padre Luigi und Zio Antonio waren für mich Hauptkontaktpersonen. Meine Beziehungen zu ihnen wollte ich auf keinen Fall riskieren. Aus Angst, zum Gegenstand von Diskriminierung zu werden, verschwieg ich meine schwule Identität. Ich befürchtete, ein Bekenntnis zum Schwulsein könnte mir eine sozial anerkannte Rolle im gesamten Ort und besonders in der Werteinstitution Kirche verwehren.

 

Die von mir erwartete gnadenlose Ächtung schwuler Identität durch die Kirchenverantwortlichen habe ich nie gespürt. Zwar verstärkten die Aussagen von Mario, Vittorio, Maria und Guiseppe meine diesbezügliche Erwartung. Aus diesen Gründen bekannte ich mich im Kloster nicht zu meinem Schwulsein und sah von der Thematisierung von Homosexualität ab. Doch beim zweiten Aufenthalt hatten weder Padre Luigi noch Zio Antonio etwas dagegen, daß ich mit meinem Partner und einem schwulen Freund erneut im Kloster untergebracht wurde. Man nahm uns wieder herzlich auf. Mit meinem Partner übernachtete ich in einem Doppelzimmer. All dies wurde in den Mauern des Klosters stillschweigend toleriert. Ohne Namen, findet Homosexualität im Franziskanerkloster in Maiori keinen zugegebenen Platz. Auf diese Art und Weise institutionalisiert die katholische Kirche ihre Intoleranz gegenüber Homosexualität. Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene wird darum gekämpft, die Kluft zwischen Homosexuellen und Kirche zu verringern. In Italien gibt es drei verschiedene katholische Schwulengruppen (vgl. Rauch et.al. 1998:554).

 

 

4.2. Homosexualität und öffentlicher Raum

 

Die Autos in der dunklen Seitenstrasse am Ortsrand und Guiseppes Ausbruch über autosexuelle Handlungen auf dem Berggipfel belegen den üblichen Ausschluß von Sexualität aus dem öffentlichen Raum. Dieser trägt eine Überwachungsfunktion. Rabinow (1977:65) erlebt die Befreiung von sozialen Normen ebenfalls auf einer Wanderung durch ein Waldgebiet. Er schreibt:

 

"Als wir Straße, Stadt und Gesellschaft hinter uns ließen, erfaßte mich ein Hochgefühl als ob auch Hemmungen und Vorschriften gleichermaßen zurück blieben." (ebd.)

 

Wie ich in den dichten Beschreibungen meiner Felderfahrungen in Maiori gezeigt habe, empfand ich es als unmöglich, im öffentlichen Raum über Homosexualität zu reden, schwule Identität zu bekennen und von solcher zu erfahren. Der öffentliche Raum ist dabei genau der, in dem die Angst empfunden wird, daß sichtbare schwule Identität zur Stigmatisierung führt. Außerhalb des öffentlichen Raumes kann Homosexualität thematisiert werden. Dabei wird die Angst überwunden, die Homosexualität im Verborgenen des Inneren hält. Die Grenzziehung des öffentlichen Raumes nehmen Akteure vor.

 

Unter dem Deckmantel der Nacht und außerhalb der Mauern des Franziskanerklosters ließ Christian mich wissen, daß in Maiori über Homosexualität geschwiegen wird. Guiseppe ahmte Vittorios effeminiertes Verhalten in einer Bar in Salerno nach. Im Auto unter Freunden wird darüber scherzhaft gelacht. Auf dem Monte Falenzio, hoch über der Stadt und unter Ausschluß aller Öffentlichkeit besprechen Vittorio und ich unser Schwulsein miteinander. Mit Mario setze ich mich dazu in eine Bar in Amalfi. In diesen nicht-öffentlichen Räumen fehlt die gesellschaftliche Kontrolle oder sie ist eingeschränkt. Es handelt sich um mutig angeeignete Freiräume. Im Rahmen seines Freundeskreises erfuhr ich von Vittorios Homosexualität. Über ihn lernte ich Mario und Giovanni kennen. Nur vor diesem Kreis aus Betroffenen und Eingeweihten bekannte ich mich selbst. Die Vorgänge in denen Homosexualität im öffentlichen Raum verschwiegen wurde habe ich selbst mit verschuldet. Dieser Zustand ist individuell steuerbar und kann beendet werden. Es besteht die Möglichkeit, sich Freiräume anzueignen.

 

 

4.3. Die Bar als schwuler Freiraum

 

Von Anfang an spielten Bars eine Rolle in der ethnologischen Untersuchung von Homosexualität. Read (1980) sammelte bereits Symbole des homosexuellen Lebensstils in einer städtischen Taverne. Damals, vor dem Ende der 60er Jahre, bestand die homosexuelle Subkultur aus Bars oder anderen anonymen Treffpunkten. Das "Coming out" bedeutete damals noch kein Bekenntnis vor der dominanten Kultur, sondern den Eintritt in die Barszene. Ihre Anonymität hielt die Geheimhaltung der homosexuellen Identität aufrecht. Reads Studie zeigt, wie die Umgebung der Homosexuellen-Bar die homosexuelle Identität nicht nach außen präsentierte. Dieser Trend hat sich seitdem geändert. "Coming out" bedeutet heute, sich vor den Freunden, Eltern, der Familie und anderen zu bekennen (vgl. Weston 1991 besonders Kapitel 3). Mir erschienen die Bars in Maiori als Räume, in denen soziale Netzwerke sichtbar werden. Die Bar kann der zentrale Treffpunkt eines schwulen Netzwerkes sein. Die Offenbarung homosexueller Identität verbindet Schwule untereinander und mit ihren heterosexuellen FreundInnen. In der Baratmosphäre können diese Verbindungen geknüpft und gepflegt werden.

 

In der Brasserie kamen Vittorio und ich einander näher. Dabei half uns der gegenseitige Austausch von Elementen schwuler Kultur. So wie ich ihm den schwulen Gehalt der Musik Jimmy Sommervilles vorstellte, machte er mich umgekehrt mit der italienischen Sängerin Mina bekannt. Wie Vittorio schwärme auch ich heute von den dramatisch intonierten Liedern dieser einzigartigen Diva. Besonders natürlich, wenn sie unerfüllte Liebe wider den sozialen Regeln besingt. Vittorio identifiziert sich fast auf dramatische Weise mit einem Lied von Mina, das da heißt: Sono come tu mi voi – Ich bin so, wie Du mich willst.

 

Als ich bei meiner dritten Reise nach Maiori mit meinem Partner nicht mehr im Kloster, sondern im Hotel und später in einer Ferienwohnung bleibe, wird die Bar Reghina unser zentraler Treffpunkt. Mehr noch als die Brasserie ist sie die authentische Dorfkneipe. Täglich treffen sich hier Jugendliche und Ältere, um Karten zu spielen, etwas zu trinken oder eine Kleinigkeit zu essen und miteinander über Gott und die Welt zu reden. Der ungefähr 40-jährige Carmine führt die Bar Reghina zusammen mit seinen Eltern, Francesco und Eugenia. Wir lernen Carmine über Guiseppe kennen und brauchen ihm nicht zu erklären, daß wir ein Paar sind. Unsere Partnerschaft wird nie direkt angesprochen aber ich erzähle Carmine zum Beispiel von meiner Forschung über Homosexualität in Maiori und Neapel. Mit einer knappen Anerkennung nimmt er dies hin. Im alltäglichen Umgang und im Smalltalk mit uns zeigt Carmine ein hohes Maß an Offenheit. Und das ebenso Mario, Giovanni und Vittorio gegenüber. In seiner Bar sind wir zu Hause. Hier entspannt sich sogar das Verhältnis zwischen Mario, Giovanni und Vittorio und gestaltet sich sehr viel freundlicher. Wir verbringen viel Zeit in der Bar Reghina und gehen im Kreise unserer Freunde und Freundinnen höchst entspannt mit unserer Sexualität um. Wir diskutieren über partnerschaftliche Beziehungen, schwule Clubs in Neapel und Rom, und das alles in überhörbarer Nähe zu den anderen. Als Edoardo eintritt, von dessen Homosexualität Vittorio überzeugt ist, ruft Mario camp: "Ah, nostra sorella!" – Unsere Schwester! Wir reden über Gianni Versaces Tod, lachen dann wieder viel und sind gar ein kleines Grüppchen im Rahmen der gesamten Klientel. Ein soziales Netzwerk aus Schwulen und ihren FreundInnen. Ein Raum, in dem auch Platz für unsere Werte und Bedeutungen vorhanden ist. Im Abschnitt 4.6. stelle ich dem schwulen Freiraum Bar in Maiori die sozialen Räume der schwulen Kultur Neapels gegenüber.

 

 

 

 

4.4. Gender-definierte schwule Identität und Partnerschaft

 

Meine Erfahrungen mit männlicher Homosexualität in Maiori lassen sich jenen von Blackwood (1995) gegenüberstellen. Als Blackwood sich während ihrer Feldforschung in einer ländlichen Gegend auf Westsumatra, Indonesien, in Dayan verliebt, spürt sie zunächst eine Erleichterung darüber, ihre lesbische Identität wieder vor jemandem zugeben zu können. Doch hinter der vordergründigen Identifikation miteinander lag der Bereich der kulturell und individuell unterschiedlichen Konzepte von lesbischer Identität und Partnerschaft (vgl. ebd.:65). "Sehr wenig stimmte an unseren ‚lesbischen‘ Identitäten überein." (ebd.:66) Dayan äußerte Unbehagen mit ihrem Körper. "Sie bedauerte, eine Frau zu sein und sagte, sie wolle sich einer Geschlechtsumwandlung unterziehen. Ich mußte der Versuchung widerstehen, ihr dieses für mich seltsame Verlangen nicht auszureden." (ebd.:67f) In ‚lesbischen‘ Partnerschaften gibt es in Indonesien die maskuline Kategorie cowok (Junge) und die feminine Kategorie cewek (Mädchen). Dayan betrachtet Blackwood als ihr "Mädchen" (vgl. ebd.:70f). Als sie sie einer cowok- Freundin vorstellt, muß Blackwood Dayan mit "Pa", der Bezeichnung für einen älteren, männlichen Geliebten, anreden. "Dieser Begriff aber kratzte an meiner lesbischen, feministischen Empfindung und widersprach meinem Glauben, daß wir beide gleichwertig und beide Frauen wären." (ebd.:71)

 

In den Auseinandersetzungen mit Mario und Vittorio erfuhr auch ich von ihrem Gender-definierten Konzept homosexueller Identität. Sie setzen männliche Homosexualität mit Effeminiertheit gleich. Dieses Konzept widerspricht meinen gelebten Vorstellungen vom Schwulsein, so wie es übertragen auf weibliche Homosexualität Blackwoods Vorstellungen vom Lesbischsein entgegen steht. Das markanteste Merkmal der Schwulen, die ich an der Costiera Amalfitana kennenlernte, war ihr auffällig effeminiertes, campes Verhalten. Im Gegensatz dazu bestätigte Christian in unserem Gespräch vorm Kloster die Unerkennbarkeit meiner schwulen Identität.

 

Ähnlich wie Dayan vor Blackwood, so äußern sich Mario und Vittorio vor mir als unzufrieden mit ihren männlichen Körpern. Besonders Vittorio kleidet sich sehr androgyn, bewegt sich und spricht effeminiert. Darin äußert sich sein Unbehagen mit der von ihm erwarteten männlichen Geschlechtsidentität. Als wir uns während meines dritten Aufenthaltes mit Guiseppe und Maria zum Abendessen in einem Restaurant verabredet haben, erscheint Vittorio verspätet und das dritte Mal an diesem Tag komplett umgekleidet. Der Kellner spricht ihn versehentlich mit Signora an, worüber alle herzhaft lachen. Vittorio schwelgt noch lange in diesem Augenblick. Für Vittorio beinhaltet die Konstitution seiner schwulen Identität die Nachahmung einer weiblichen Geschlechtsidentität. Als Schwuler verstehe ich mich dagegen als Mann mit männlicher Geschlechtsidentität, der Männer begehrt. Damit widerspreche ich der Heteronormativität der westlichen sexuellen Ideologie mehr als Vittorio. Er tendiert als Mann zu einer weiblichen Geschlechtsidentität und begehrt aus dieser Position Männer. Bedenkt man die strikte Zweigeschlechtlichkeit der westlichen sexuellen Ideologie, dann wird ersichtlich, warum männliches homosexuelles Verhalten als effeminiert und passiv vorgestellt wird. "Normalerweise" performieren Männer eine männliche Geschlechtsidentität und begehren dazu Frauen. Der verweiblichte Mann, der Männer begehrt, paßt wieder in das heterosexistische Schema.

 

"Nach [...] Geschlechtsidentität gegliederte Homosexualitäten [...] beteuern und reproduzieren die männlich-dominante sex/gender Hierarchie. Die Existenz sexuell empfänglicher maskuliner Erwachsener dagegen würde sie subversiv unterwandern [...]" (Murray / Roscoe 1997: 305).

 

Mir fällt es nicht schwer, der Stigmatisierung effeminierter Homosexueller zu entgehen. Um so tiefer verstricke ich mich in die Lügen des Durchgehens als Heterosexueller. Erst nach dem Aufbau einer freundschaftlichen Basis bekenne ich mich zu meinem Schwulsein. Dabei geschieht es, daß ich die Toleranzgrenze meiner FreundInnen oft unterschätze und zu lange die Praxis der Annahme von Heterosexualität unterstütze. Demgegenüber fallen die effeminierten schwulen Maioresi sichtbar aus der Männerrolle. Sie performieren ihr Schwulsein nach dem Bild des passivo, dem effeminierten Schwulen. Die Frage bleibt, ob sie damit vielleicht viel wirksamer gegen ihre Stigmatisierung aufbegehren oder ob sie diese unnötigerweise heraufbeschwören? Ihr Verhalten steht im Zusammenhang mit dem öffentlichen Verschweigen von Homosexualität in Maiori. Da sie verbal nicht existent ist, performieren sie ihre Homosexualität, um sie überhaupt leben zu können.

 

Eine schwule Partnerschaft besteht für Vittorio in einer weiblichen und einer männlichen Hälfte. Dieses Konzept nimmt Gestalt in seiner unerwiderten Liebe zu Christian an. Nachdem er uns lange beobachtet hat, behauptet Vittorio während eines Ausflugs nach Caserta meinem Partner und mir gegenüber, daß auch in unserer Beziehung Männer- und Frauenrolle aufgeteilt wären. Die Entrüstung in unserer Reaktion zeigt unser Unverständnis für ein solches Gender-definiertes Konzept. Für uns ist die schwule Partnerschaft eine egalitäre Beziehung zwischen zwei Männern.

 

Nach der These von Murray und Roscoe (1997) koexistieren verschiedene Ausdrucksformen von schwuler Identität und Verständnisse von schwuler Beziehung und Partnerschaft miteinander. Im folgenden Abschnitt zeige ich, wie besonders schwule Medien maßgeblich am Prozeß der Ausbreitung maskuliner schwuler Identität und egalitärer schwuler Partnerschaft und damit an der Homogenisierung lokaler Homosexualität beteiligt sind.

 

 

4.5. Homogenisierungstendenzen

 

Neben den Gender-definierten Vorstellungen über Homosexualität von Mario und Vittorio existieren auch in Italien maskuline schwule Identität und egalitäre schwule Partnerschaften. Durch nationale Emanzipationsbewegungen und globale mediale Verbreitung schwuler Kultur kursieren besonders letztere Konzepte auch in Maiori. Einen kurzen Einblick in die italienische Homosexuellenbewegung der 70er Jahre bietet Passerini (1996:153-57). Zusammen mit der Frauenbewegung hätte die Homosexuellenbewegung den Wandel der Geschlechterbeziehung in Italien beeinflußt. Beide Bewegungen seien hauptsächlich in Kreisen der intellektuellen Mittelschicht angesiedelt gewesen (vgl. ebd.:156). Seit Anfang der 70er Jahre bekannten sich Männer und Frauen zu ihrer Homosexualität. Durch Demonstrationen, öffentliches Einschreiten und ideologische Arbeit kritisierten sie die Stigmatisierung Homosexueller in der italienischen Kultur und Politik. Die Thematisierung von Homosexualität und das Bekenntnis zu ihr hinterfragte besonders die privilegierte Position des heterosexuellen Mannes. Die Bewegungen der 70er Jahre, so Passerini, hätten zu mehr Gleichberechtigung in heterosexuellen Partnerschaften, zur Möglichkeit unehelichen Zusammenlebens und zu einer größeren Freiheit für lesbische und schwule Partnerschaften geführt. Die Autorin räumt jedoch ein, daß Italien, trotz des Wandels seit den 70er Jahren, dennoch ein Land bleibt, in dem die alten Traditionen der männlichen Dominanz andauern (vgl. ebd.:157).

 

Enthusiastisch zeigte mir Vittorio die Ausgabe einer italienischen Frauenzeitschrift. Er hatte sie aufbewahrt, weil in einem Artikel unter dem Titel Amore Gay das Phänomen des egalitären schwulen Paares als neue Form der Familie besprochen wurde (Ferraris 1997). Im Interview sagt der Vorsitzende von Arcigay, dem Dachverband der italienischen Lesben- und Schwulengruppen, Franco Grillini, daß viele Lesben und Schwule sich nicht öffentlich zu ihrer Homosexualität bekennen. Andere jedoch leben in stabilen Partnerschaften unter einem Dach (ebd.:39). "Sich zu verstellen ist zu demütigend. Es ist besser, sich zu zeigen: je mehr die Leute uns kennenlernen, um so mehr gewöhnen sie sich an uns." (ebd.) Der Artikel berichtet sehr aufgeschlossen von einem amerikanischen und von zwei italienischen schwulen Paaren, aus der Gegend um Parma und aus Reggio Emilia.

 

Mario informierte mich über das monatlich erscheinende italienische Lesben und Schwulen Magazin Babilonia. In der Märzausgabe 1998 beschäftigt sich ein Artikel von Pietrantoni (1998) mit verschiedenen Ebenen der Sichtbarwerdung homosexueller Kultur in Italien. Darin appelliert er, unter anderen den universitären Bereich stärker einzusetzen, um das Verschweigen und die Behinderung der Forschung über Homosexualität zu überwinden. Er fordert, die Isolation von Forschenden zu entsprechenden Themen zu beseitigen. Ein weiterer Artikel von Maggi (1998) rezipiert das U.S.amerikanische Phänomen der Queer Studies und argumentiert dafür, eine entsprechende italienische Form ins Leben zu rufen.

 

Lesbische und schwule Medien werden eingesetzt, um Erfahrungen von Betroffenen und ihre Gemeinschaft visibel zu machen. Der Zugang zu diesen Informationen unterstützt eine positive Selbstwahrnehmung als Lesbe oder als Schwuler, weil dadurch die eigene Isolation durchbrochen wird. Sich als Teil einer regionalen oder gar weltweiten Community zu verstehen, baut auf, schafft Referenzpunkte und Identifikationsmöglichkeiten. Auch national und international bekannte schwule Medienstars, zum Beispiel aus Mode und Popmusik, bringen über die Populärkultur die Thematisierung von Homosexualität auf die Tagesordnung. Der anerkannte, amerikanische Schriftsteller, Gore Vidal, ist eng mit der Costiera Amalfitana verbunden. Seine Memoiren (Vidal 1995) schrieb er in seiner Villa, die prominent über dem steilen Abhang des ravellesischen Plateaus thront. Das Wissen oder Nichtwissen von dieser Geographie der Homosexualität graduiert individuelles schwules Selbstbewußtsein. Dabei erinnere ich mich an einen besonderen Tagesausflug, den Vittorio wie eine Wallfahrt zum Heiligtum schon lange vorher für uns geplant hatte. Mit dem Auto fuhren wir zu dritt zu den Ausgrabungsstätten nach Paestum. Im Museum zeigte Vittorio uns die Überreste altgriechischer Fresken, die männliche Homoerotik darstellen. So wie wir fasziniert sind von den Zeugnissen vergangener Zeiten, so interessiert studiert Vittorio, zwischen den Ruinen zerfallener Tempel stehend, unsere Ausgabe des Spartacus.

 

Junge Lesben und Schwule sind weltweit den gleichen Medien ausgesetzt. Sie erfahren über Hollywood-Filme oder Musikstars von einen neuen selbstbewußten Umgang mit Homosexualität. Die Kategorien "schwul" und "lesbisch" verbinden sie. Woran es im ländlichen Süditalien letzlich mangelt, sind Institutionen, die alternative Lebensentwürfe unterstützen und ihnen zu einer verstärkten sozialen Legitimation verhelfen. Die zugänglichen Informationsnetzwerke beziehen sich auf die urbanen Zentren der Großstädte und den Norden. An der Costiera Amalfitana ist Identitätspolitik noch wichtiger als Queer Theory. Viel fortgeschrittener sind die Tendenzen der Homogenisierung lokaler Homosexualität in Neapel. Hier traf ich auf mir vertraute lesbische und schwule Identität, auf egalitäre Vorstellungen von Homosexualität und auf eine lesbische und schwule Community.

 

 

4.6. Urbane schwule Kultur

 

Zwischen Stadt und Land bestehen große Unterschiede im Umgang mit Homosexualität. In ruralen Gebieten passen Schwule sich entweder der heterosexuellen Männerrolle an und erfüllen die daran geknüpften Verhaltensnormen oder sie fallen aus der Männerrolle heraus und werden stigmatisiert. Wenn es die finanzielle Lage erlaubt, dann ist das Verlassen des Heimatortes eine mögliche Lösung dieser schwierigen Situation.

 

"In der Großstadt ist die soziale Kontrolle weit geringer als auf dem Land oder in Provinzstädten; Homosexuelle sind in Großstädten sichtbarer, weil das Selbstbekenntnis dort weniger starke Sanktionen nach sich zieht", schreibt Haller (1995:88).

 

Belege dafür liefern Haller (1992) aus Andalusien, Dracklé (1998) aus Portugal und Blackwood (1995) aus Indonesien. In Maiori besteht zwar ein Netzwerk von sich bekennenden Schwulen und akzeptierenden heterosexuellen Freunden und Freundinnen, doch von schwuler Community kann nicht die Rede sein. Im urbanen Zentrum Neapel, ca. eine Autostunde von Maiori entfernt, hat sich dagegen "wie [in] jeder größeren westeuropäischen oder nordamerikanischen Stadt" eine schwule Subkultur mit ihren sozialen, kulturellen, politischen und ökonomischen Institutionen entwickelt (vgl. Haller über Sevilla 1995:88).

 

In schwulen Reiseführern wird Neapel als schwules Zentrum Kampaniens angegeben. In Neapel unterliegen schwule Einrichtungen längst nicht derselben Kontrolle wie solche in der Enge ländlicher Regionen. Zu den "Örtlichkeiten, wo sich Menschen aufgrund ihrer aufs eigene Geschlecht gerichteten sexuellen und emotionalen Präferenzen treffen" (Haller ebd.), gehören in Neapel Bars, Saunas, Restaurants und Diskotheken. Außerhalb Neapels, in den Kleinstädten, listet der Spartacus vornehmlich Cruising Areas auf. Derartige Treffpunkte für schwulen Sex finden sich auch in Salerno, Avellino oder Caserta. Es sind meist zu bestimmten Zeiten frequentierte Straßen, Plätze, Parks, Bahnstationen, Abschnitte von Strandpromenaden oder Strände.

 

Aus der Notwendigkeit heraus, Orte für die Emanzipation von Lesben und Schwulen bereitzustellen, entstanden in den 70er Jahren lesbische und schwule Gruppen. Seit Juni 1972 veröffentlichte Fuori, die Vereinte Homosexuelle Revolutionäre Front Italiens, ihr ebenso Fuori! betiteltes Magazin über sexuelle Liberalisierung. Das italienische Wort fuori entspricht hier dem englischen out (vgl. Passerini 1996:153). Fuori kritisierte, dem Zeitgeist der 70er Jahre entsprechend, die Unterdrückung durch das kapitalistische System und sah die homosexuelle Emanzipation als einen Teil der Emanzipation der gesamten Menschheit an (vgl. ebd.:155). Mittlerweile haben sich die meisten Emanzipationsgruppen zum Dachverband Arci Gay und Arci Lesbica zusammengeschlossen, der in allen wichtigen Großstädten Regionalgruppen hat. Ihre Zentrale befindet sich in Italiens schwuler Hauptstadt, Bologna. (vgl. Rauch et.al. 1998:554). Neben rekreativen Aktivitäten stehen nach wie vor politische Fragen der sozialen Gleichberechtigung von Lesben und Schwulen und Aufklärungsarbeit und Hilfeleistung in Sachen HIV/AIDS auf dem Plan.

 

Im März 1998 unternehmen mein Partner und ich einen zwei-tägigen Ausflug nach Neapel. Wir gelangen mit dem Bus zuerst nach Amalfi, von dort über die ungeheuer aufregende Küstenstraße nach Sorrent und schließlich mit der Circumvesuviana, der den Golf von Neapel entlang laufenden Bahn, am Vesuv vorbei nach Neapel. Zur Übernachtung haben wir ein Hotel im Stadtteil Mergellina, direkt am Golf, ausgesucht. Dem Spartacus entnehmen wir die Telefonnummer von Arcigay e Arcilesbica Circolo Culturale Antinoo. Als wir anrufen, wird unser Interesse sofort mit dem Angebot, uns von einem leicht erreichbaren Treffpunkt abzuholen, belohnt. Ein guter Gedanke, denn das Büro befindet sich inmitten des Centro Antico, des labyrinthartigen alten Zentrums der Stadt. Fabio studiert Spanisch und Nino studiert Ingenieurwesen. Sie führen uns in eine schmale dunkle Seitengasse namens Via San Geronimo. Unterwegs stelle ich mich als Schwulenforscher vor. Wir werden durch einen niedrigen Torbogen in einen kleinen Raum gebeten und befinden uns in der organisatorischen Zentrale der schwulen Kultur Neapels. Die dicken, außen fast schwarzen Wände und das flimmernde Neonlicht innen geben eine kalte Atmosphäre ab. Im Raum aber ist eine bunte Menge an Leuten versammelt, die laut miteinander reden. Man staunt über uns Fremde und kommt freundlich und herzlich auf uns zu. Mein erster Eindruck ist, daß die Schwulen hier viel weniger, wenn überhaupt, effeminiert auftreten. Nino bietet uns einen Rundgang an. Er bringt uns vom Büro in den Dokuraum und berichtet dabei stolz, daß die italienische Gay Pride Parade 1996 in Neapel ausgetragen und von hieraus organisiert wurde. Im dritten Raum ist eine kleine Bar installiert, die als Treffpunkt für bestimmte Gruppenabende genutzt wird. Alle drei Räume liegen eng nebeneinander unter den Torbögen, die den gesamten Gebäudeblock entlang laufen. Über den Parterreräumen befinden sich Appartements. Die Arcigay-Gruppe in Neapel ist eine schwul-lesbische Institution wie die, von der Herdt und Boxer (1993) aus Chicago berichten. Die Jugendgruppe ist ein neues soziales Phänomen innerhalb der urbanen Zentren der USA und Westeuropas. Die Jugendlichen und die Institutionen sind Ausdruck der historisch gewordenen neuen schwul-lesbischen Kultur. Mit ihren sozialen Beziehungen liefert sie die Möglichkeit, sich zu bekennen und zu entfalten. (vgl. ebd.)

 

Nino und die anderen empfehlen uns, abends in die Bar Ferdinandstrasse zu kommen. Trotz der Wegbeschreibung und unseres Stadtplans haben wir Schwierigkeiten, den unscheinbaren Eingang des versteckt liegenden Lokals zu finden. Drinnen werden wir sofort von Nino empfangen. Kurz stellt er uns den deutschen Besitzer der Bar vor. Das junge Publikum besteht überwiegend aus StudentInnen. Auch hier erinnert mich das Ambiente sehr an lesbische und schwule Veranstaltungen von zu Hause. Wir lernen Marcello und Matteo kennen. Marcello studiert Englisch, Matteo Deutsch. Wir verstehen uns auf Anhieb und verabreden uns für später im Bi-Out, dem heutigen Austragungsort einer schwulen Disco, am anderen Ende der Stadt gelegen. Dort sehen wir Fabio und Nino wieder. Auch hier junges Publikum. Uns fällt auf, daß die neapolitanischen Schwulen im Gegensatz zu den heterosexuellen Raggazzi wenig affektiv miteinander umgehen und sich längst nicht so lasziv kleiden. Man könnte meinen die Machos hätte den Schwulen die Show gestohlen. Die Szene von Neapel gleicht denen in Bologna oder Bremen.

 

Einmal in der Szene kann man sich leicht in den ausliegenden Handzetteln und Broschüren über kommende schwule Veranstaltungen informieren. Außerdem gelangt man ohne Weiteres an Kontaktanzeigen. Im kostenlosen Monatsblatt Guide. Magazine for Men and Women. La Prima Grande Guida Mensile Italiana finde ich eine seitengroße Werbung für die italienische schwul-lesbische Internetadresse. Per Computer ist es so möglich, sich einen Überblick über die schwul-lesbische Kultur vor Ort und über weitere Internetverbindungen weltweit zu verschaffen. Von Terminen über die neuesten politischen Entwicklungen bis hin zum Klatsch und Tratsch aus der Popkultur, von Konsum- und Reiseangeboten speziell für Lesben und Schwule bis schließlich zur Zelebrierung schwulen Sexes ist alles mit einem Mausklick erfahrbar. Vorausgesetzt natürlich man besitzt einen Computer oder geht in ein Computer-Café.

 

Bevor wir wieder nach Maiori zurückkehren, müssen wir Matteo und Marcello versprechen, sie erneut zu besuchen. Und so treffen wir uns ein zweites Mal in Neapel. Sie laden uns ein, mit Freunden in Marcellos Wohnung zu Abend zu essen. Außer Giorgio, der Literatur studiert und die winzige Studentenwohnung, wieder mitten im turbulenten Centro Antico, mit Marcello teilt, lernen wir Agostino, Vincénzo und Roméo kennen. Das üppige Essen wird trotz der räumlichen Enge zelebriert. Wir hören dazu Musik. Mina ist auch hier ein Star. Keiner der Anwesenden ist wie wir in einer Beziehung. Dafür werden wir bestaunt. Dabei fällt es in Neapel nicht schwer, andere Schwule kennenzulernen. Doch außer Giorgio und Marcello leben alle bei den Eltern. Das Bekenntnis der schwulen Identität vor der Familie, so erfahren wir, gestaltet sich auch hier als äußerst schwieriger und langwieriger Prozeß. Die prekärste Beziehung ist die zu den Eltern. Unter heterosexuellen Altersgenossen, Geschwistern oder FreundInnen, ist das Sich-Anvertrauen unkomplizierter. Die schwule Identität wird längst nicht überall ausgelebt, sondern nur in den Räumen der Subkultur. Die Subkultur bietet die Möglichkeit, eine Gruppenidentität auszubilden.

 

Herdt und Boxer (1993) verdeutlichen, wie wichtig es ist, einen auch von außen als solchen verstandenen sozialen Raum für das Bekennen der homosexuellen Identität bereitzustellen. Die angeeigneten Freiräume schwulenfreundlicher Netzwerke in Maiori sind längst nicht so emanzipiert wie das Horizons Zentrum in Chicago oder das Büro der Arcigay in Neapel. Bei letzteren handelt es sich viel mehr um offizielle Orte für den vollständigen und legitimierten Ausdruck und das Explorieren der Dimensionen der schwulen oder lesbischen Identität. Während in der Bar Reghina in Maiori nur Interaktion stattfindet, identifizieren sich die schwulen Neapolitaner mit ihrer Gruppe und Szene. Wenn Interaktion und Identifikation stattfinden, wird ein Ort zum sozialen Raum einer Gruppe (vgl. Haller 1995). Das Netzwerk in Maiori ist integriert in die enge face-to-face Gemeinschaft des Dorfes, während die Schwulen in Neapel sich über ihre Identität als zur Community zugehörig definieren. In Maiori fand ich nur effeminierte schwule Identität. In Neapel erkannte ich die maskuline schwule Identität als vorherrschend. Das mir vertraute Modell egalitärer schwuler Partnerschaft habe ich in Süditalien nicht angetroffen. Es kursiert jedoch in den schwulen Medien.

 

 

Zusammenfassung

 

Die globale Ausbreitung schwul-lesbischer Kultur kann ich für die Orte meiner Feldforschungen bestätigen. Ihre Symbole und Werte finden sowohl auf dem Land als auch in der Stadt ihre Verbreitung. In Maiori wird die schwule Kultur als Fremdeinfluß über die Medien rezipiert. Im urbanen Zentrum Neapel hat sich eine eigene lokale schwule Kultur gebildet. Die Globalisierung der schwulen Kultur verursacht keine zwangsläufige Homogenisierung. Sie wird sehr unterschiedlich indigenisiert und "einheimisch gemacht" (vgl. Morley 1997). Trotz zunehmender Vernetzung der Welt bleibt die kulturelle Vielfalt bestehen. Besonders ethnologische kulturvergleichende Daten betonen die Kulturspezifik von Homosexualitäten. Die seit den letzten dreizig Jahren ansteigende Datenfülle belegt die Pluralität der Homosexualitäten. Nur von der Homosexualität auszugehen, hieße, den Daten unser interpretatives Schema von Repräsentationen aufzuzwingen (vgl. Herdt 1991). Auch innerhalb der westlichen Kultur dürfen Variationen nicht nivelliert werden (vgl. Murray 1987)

 

"Die Identitätskategorien "homosexuell / heterosexuell" des 19.Jahrhunderts und "schwul/lesbisch/straight" des 20.Jahrhunderts sollten nicht als Universalien, sondern als Andeutungen weltweit gemeinsamer Themen verstanden werden." (Herdt 1997:xvi)

 

Im interkulturellen Bereich mögen traditionelle Homosexualitäten, wie im Fall der rituellen Homosexualität Melanesiens, verschwinden oder alternative Geschlechterrollen, wie Berdache oder Hijras, vermischen sich mit westlichen Konzepten von homosexueller Identität. Selbst innerhalb der westlichen Kultur gibt es unterschiedliche Modelle von schwuler Identität und Partnerschaft. Die Übernahme der neuen schwul-lesbischen Identitätskonzepte und die Transformation von der Gender-definierten zur egalitären Homosexualität funktionieren nur bedingt. Ich bekräftige die These von Murray und Roscoe (1997:313), indem ich zeige, daß die Gender-definierte Homosexualität in Maiori der egalitären Homosexualität in Neapel gegenüber steht. Damit koexistieren verschiedene Konzepte über schwule Identität und Partnerschaft nebeneinander.

 

In Maiori begegnete ich jungen Schwulen mit effeminierter schwuler Identität und Gender-definierten Auffassungen über schwule Beziehungen und Partnerschaft. Ein wiederkehrendes Thema war die Suche nach Räumen für den offenen Umgang mit Homosexualität. Dem Schweigen über Homosexualität steht ihre öffentlich sichtbare Performanz gegenüber. Durch ihre Effeminiertheit ordnen sich die Schwulen der sexuellen Ideologie der Zweigeschlechtlichkeit unter. Gleichzeitig machen sie dadurch öffentlich auf sich aufmerksam. Im urbanen Zentrum Neapel traf ich auf eine öffentlich sichtbare schwul-lesbische Szene, die mich an Bologna und Bremen erinnerte. Wie in anderen Großstädten, gibt es auch hier soziale Räume der Interaktion und Identifikation. Die maskuline schwule Identität meiner neapolitanischen Informanten gleicht der meinen. Gelebte egalitäre Partnerschaften traf ich bei meinen durchweg jungen Informanten nicht an.

 

Um diese Aussagen über Homosexualität treffen zu können, habe ich meine erotische Subjektivität, mein Schwulsein und meine Partnerschaftsbeziehung reflektiert. Durch teilnehmende Beobachtung und informelle Interviews mit anderen Schwulen lernte ich ein Netzwerk von Schwulen und ihren FreundInnen in Maiori und Teile der schwulen Kultur in Neapel kennen. Die dichte Beschreibung dieser Erfahrungen habe ich als Forschungsdaten analysiert. In der Auswertung meiner Felderfahrungen in Maiori und Neapel habe ich versucht, "den Einfluß der eigenen Subjektivität ... als Erkenntnisinstrument einzusetzen" (vgl. Nadig 1986:7) und das im Feld subjektiv Erlebte in einen kulturwissenschaftlichen Text über männliche Homosexualität als Forscheridentität und als ethnologisches Forschungsthema zu transformieren. Wie Rabinow (1977) und Kondo (1990) wollte ich zeigen, daß die ethnologische Theorie und die Praxis der Feldforschung unlösbar miteinander verbunden sind.

 

Die Praxis der Feldforschung erfordert es, zur eigenen Identität zu stehen. Meine Felderfahrungen zeigten mir die Bedeutsamkeit meiner schwulen Identität für meine Arbeit. Die sexuelle Identität den HauptinformantInnen der Forschung wie den LeserInnen der Ethnographie zu offenbaren, heißt für Lesben und Schwule emanzipiert forschen und schreiben zu können. Sich im Feld und im Text offen als homosexuell zu erkennen geben, fordert nicht nur die kulturelle Norm, die das Berufliche vom Privaten trennt, heraus (vgl. Wafer 1996). Zudem verwirft es auch die wissenschaftliche Reglementierung, die das Subjektive als Störfaktor betrachtet und als unwissenschaftlich degradiert.

 

Das Interesse am Thema Homosexualität resultiert weniger aus einer Betroffenheit, dem Wunsch der Auseinandersetzung mit Grenzphänomenen, dem Auffälligen und dem Abweichenden, als dem Wert dieser sexuellen Orientierung. Durch das Aufschreiben von Felderfahrungen homosexueller EthnologInnen werden eine Reihe von Fragen aufgeworfen, die die Ethnologie insgesamt betreffen. Erstens wird auf die Tendenz aufmerksam gemacht, Heterosexualität fälschlicherweise als axiomatisch anzusehen. Zweitens wird die heterosexuelle, männliche Hegemonie mit ihren Auswirkungen auf alle (auch auf heterosexuelle Männer) problematisiert, wie seit dem Feminismus nicht mehr. Der Feminismus hatte die Befangenheit in der männlichen Perspektive aufgedeckt, die Anthropologie der Homosexualität deckt die Befangenheit in der heterosexuellen Perspektive auf, die ihrerseits Teile der Wahrheit verdeckt. Drittens bedeutet zur eigenen (schwulen) Identität zu stehen, die Distanz zu InformantInnen zu verringern. In der Ethnologie sollte Homosexualität als Forschungsthema nicht nur eine betroffene Minderheit interessieren, da es zentrale Fragen der Konstruktion von Person, Identität und Gesellschaft sowie von Texten über Kultur berührt.

 

 

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Hiermit versichere ich, daß ich diese Arbeit selbständig verfaßt und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe.

 

 

 

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